Euro Psycho
daraus. Fülle die Kühl-Gefrier-Kombination bis zum Anschlag mit dieser Aktion.
Aber warte mal? Ich halte plötzlich inne. Stopp. Was ist das?
… Dritte Reihe, fünfter Sitz. Auf dem Boden vor dem Sitz, irgendwo zwischen ein paar Fan-Beinen …
Ist es? Es wäre ein Riesending, wenn es das wirklich ist. So kurz nachdem die Spur kalt geworden ist. Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine Plastiktüte. Es scheint eine zu sein. Aber dann linst aus dem oberen Ende dieser Plastiktüte etwas anderes hervor.
Nur ein flüchtiger Moment, immerhin ein Stückchen. Aber es ist der Zipfel einer anderen Tüte. Einer weit unheilvolleren und bedeutenderen Tüte. Du meine Scheiße! Könnte es tatsächlich sein? Ich sehe auf von der Tüte in der Tüte zu der Gestalt, deren Beine sich um sie herumspreizen. Ich sehe die Waden und am Knie hoch, über den Oberschenkel und den selbstgefälligen Oberkörper ins wahre Gesicht der Person. Da ist es, ohne Zweifel: das grausame, räuberische Kinn.
Der Wichser ist hier.
Ich kann es nicht glauben. Ich bin mit Murman Abbasov, mit Lado Borodin, mit Nazmi und Tankian in eine Sackgasse geraten. Ich bin gegen die Wand gefahren mit Mid Lifes Futtersuche, habe nichts Konkretes zu Shishakli, El Presidente oder Duran. War kurz verloren, dann im Stich gelassen im Couscous – gerade mal mit einem packenden Titelrennen, einem florierenden Lifestyle-Outlet, einer Viertelmillion pro Woche und einer sich ständig erweiternden Tombola an Fotzen, um mich bei Laune zu halten.
Und dann – flatsch – fällt es auf mich runter, unerwartet wie ein Vogelschiss.
Ich schaue auf sein Kinn. Er schaut zurück, entdeckt mich, wie ich ihn entdecke. Wenigstens scheinen seine Augen größer zu werden, ehe sie auf Comicgröße aufreißen. Er springt auf seine Füße.
Hier sind wir, es wird hochgeschaltet.
Ich laufe Richtung Außenlinie, unsere Ersatzbank erhebt sich, um mich zu empfangen. Aber ich weiche ihnen aus, renne weiter, springe über die Werbebanden, die Stollen rutschen auf dem Beton.
Die Gola bringt jetzt eine weiße Plastiktüte zum Vorschein, gepackt von der Hand des Kinnmanns. Er drängelt sich durch seine Reihe, erreicht den Gang, eilt zum Tribünen-Ausgang. Ich schaffe es auch zum Gang, nehme denselben Ausgang, komme auf irgendeinem anderen Gang heraus, staubbedeckte Glühbirnen über mir. Ich renne, er rennt. Ich bin jetzt nah an ihm dran, als ich durch die dünnen Gangwände den Schiri abpfeifen höre.
Ich starre geradeaus, vor mir sein beschissenes Haar, sein dicklich-breiter Rücken. Wenn ich jetzt nur Turnschuhe oder sogar Espadrilles anhätte. Ohne das dauernde Aus- und Wegrutschen auf den Stollen hätte ich ihn längst. Meine Hände würden seinen Hals umklammern, und von meinen Lippen käme ein: »Für wen arbeitest du?«.
Aber das muss warten, weil er die Tür am Ende des Ganges aufreißt und sie hinter sich zuschlägt. Ich erreiche die Tür, öffne sie meinerseits, trete in einen dunklen Raum, reibe mich instinktiv an der Wand hinter mir auf der Suche nach einem Lichtschalter, finde nichts. Ich schaue nach vorn ins Dunkel und erkenne einen Lichtstrahl.
Es ist der Kinnmann. Er hat eine Taschenlampe oder irgendeine Handy-App.
Jetzt kann ich überall um mich herum das Geräusch der Zuschauer vernehmen, das von außen durch die Wände in den dunklen Raum dringt. Sie wandern ab. Das große Fan-Tier reckt und streckt sich nach Spielschluss, um nach Hause zu gehen und bei einem Wein aus roten Rüben zu trauern oder mit einer Rübenschorle zu feiern.
Aber genau über mir, da ist er und leuchtet sich seinen Weg nach oben.
Aber warum hoch? Ist da etwa eine Leiter?
Ich gehe weiter, scheppere mit meinem Schienbein gegen ein Metallrohr, stoße mir die Nase an irgendwas, blicke hoch, sehe das kleine Licht, wie er höher und höher klettert. Mein rechter Fuß findet eine Sprosse, mein linker eine andere.
Fein. Okay. Ich bin noch auf der Jagd.
Ich klettere unerbittlich nach oben, bis – quiiiiiieeeetsschhhh – sich der Raum oberhalb mit Licht füllt. Der Kinnmann wirft am oberen Ende der Leiter eine Dachluke auf. Er klettert aus der Luke und ist außer Sichtweite. Kein Ding. Ich schaffe es zum Ende der Leiter, schaue durch die Dachluke ins Tageslicht, meine Augen brennen, ich blicke mich um.
Scheiße. Wir sind auf dem Dach der Haupttribüne. Gewellter Asbest-Belag. Hauchdünn.
Er kauert an der Kante. In der Falle. Keine Fluchtmöglichkeit.
Er gehört mir, aber es ist ein gefährlicher
Weitere Kostenlose Bücher