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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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mithilfe einer Seilvorrichtung hatten sie von österreichischem Boden aus einen Sprengsatz bis unter die Fenster dieses Gebäudes laufen lassen. Die drei Männer waren im Schlaf zerfetzt worden, ein vierter verlor sein Augenlicht.
    Für diese Finanzieri war es dort oben zu brenzlig geworden. Also hatte der Vicebrigadiere die Aufgabe übernommen, in dem alten Gebäude einen Trupp von dreißig Männern zu befehligen – nun ja, Männer, so konnte man sie schlecht nennen, eher einen Haufen verschreckter Jungen. Sie hatten um das Haus he rum gut ein Dutzend Gruben ausgehoben, und wer Wachdienst hatte, kroch hinein, sodass nur noch die Schultern heraus schauten, und hockte dann da wie ein Stößel in einem Mörser. Nachts teilte der Vicebrigadiere für jedes Loch einen Soldaten ein, tagsüber reichte es, wenn zwei oder drei besetzt waren. Ringsherum hatte er als Barrikade Nato-Stacheldraht ausrollen lassen, und sobald sie eine Büchse Tomatensoße oder andere Konserven geleert hatten, banden sie diese dort fest, sodass man nur irgendeine Stelle des Stacheldrahts zu berühren brauchte, und schon bimmelten sie wie Kuhglocken. Niemand hätte sich ihrem Quartier nähern können, ohne einen Höllenlärm zu verur sachen.
    Nur wenige Meter jenseits des Niemandslandes lag eine alte österreichische Zollstation, die sehr viel kleiner als die italienische auf der anderen Seite war. Von dort aus war der Anschlag auf die Zollbeamten geführt worden. Der Vicebrigadiere ließ das Häuschen ständig, Tag und Nacht, beobachten. Hielt sich dort jemand auf? Sollte von dort aus auch der nächste Anschlag geführt werden? Manchmal konnte er ein Stück hinter der Zollstation Personen ausmachen, die mit Ferngläsern den Horizont absuchten. Sie kamen aber nie so nahe heran, dass man sie hätte genauer erkennen können. Es war schwer, dem Drang zu widerstehen, hinüberzugehen und sich die Papiere zeigen zu lassen. Doch sie hatten den strikten Befehl, nicht auf die andere Seite zu wechseln. Die Terroristen belasteten die Beziehungen zwischen Österreich und Italien schon mehr als genug, so ein Grenzscharmützel hätte gerade noch gefehlt.
    Er war Soldat, um Politik kümmerte er sich nicht. Früher hatte er in den Südtirolern, und zwar in allen, nichts als undankbare Verräter an der Einheit des Vaterlands gesehen. Dann war er nach Alto Adige versetzt worden, und kaum hatte er die Stadt unten im Tal mit ihren Fabriken, in denen viele Süditaliener arbeiteten, hinter sich gelassen und die ersten Bauern getroffen, war ihm aufgegangen: An diesen Leuten war tatsächlich nichts italienisch. Doch die Terroristen waren und blieben gewissenlose, feige Mörder, die nicht einmal mit offenem Visier kämpften.
    Nach den jüngsten Attentaten herrschte in der Carabinieri-Kaserne eine angespannte Atmosphäre. Es hieß, ein Offizier der Alpini, ein Mann, der Bomben und Granaten als Briefbeschwerer benutzte und hinter dessen Schreibtisch nicht das Bild des Staatspräsidenten, sondern das des Duce hing, habe erklärt: » Jetzt ist ein Südtiroler dran! « Von solchen Äußerungen wollte der Vicebrigadiere nichts hören, auch nicht im Spaß. Einige Tage später war dieser junge Südtiroler aus dem Val Pusteria bei einer Straßensperre erschossen worden. Die Männer, die die Schüsse abgegeben hatten, waren junge Wehrpflichtige gewesen: offenbar ein tragisches Versehen, der allgemeinen Nervosität geschuldet. Und doch hatte er, als er davon hörte, sofort an die Worte dieses Offiziers der Gebirgsjäger denken müssen, und einen Moment lang stockte ihm das Blut in den Adern.
    Nun hatte er diesen neuen Befehl erhalten: Bei den Grenzstei nen sollte die italienische Fahne flattern. Und jeden Morgen beim Fahnenappell war er stolz, dieser Pflicht nachzukommen. Aber da gab es auch noch einen anderen Befehl, an den er sich strikt hielt, denn er hatte ihn sich selbst erteilt: dafür zu sorgen, dass jeder dieser jungen Männer unter seinem Kommando heil zu seiner Familie zurückkehrte.
    Mindestens einmal in der Nacht wurde falscher Alarm gege ben. »Ich habe jemanden husten hören«, erklärte dann einer seiner Männer vielleicht, oder: »Zwischen den Bäumen ist ein Licht aufgeblitzt.« Und sogleich bestätigten die anderen Wachen, ja, auch sie hätten ein verdächtiges Geräusch gehört, ein Licht gesehen, das Knirschen von Schritten im Schnee vernommen. Sie steigerten sich in ihre Fantasien hinein und plusterten sich auf wie junge Tauben. Oder er schoss mit seinem Garand

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