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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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eine Leuchtrakete ab, und in den acht Sekunden, die zwischen dem Abschuss und dem Erscheinen des strahlenden Kometen vergingen, brüllte einer ent setzt auf: »Sie greifen an!«, und begann vielleicht sogar, mit dem Maschinengewehr blind draufloszuballern. Am Morgen fanden sie dann die Lärchen und Tannen wie Zahnstocher niedergemäht vor: Nicht umsonst wurde das MG 42/59 auch » Hitler-Säge« genannt. Es war ein Wunder, dass sie sich nicht gegenseitig verwundeten. Und ein Glück, dass er seinen Vorgesetzten gegenüber keine Rechenschaft über den Munitionsverbrauch ablegen musste.
    Als zufällig mal ihr Funkgerät funktionierte, hatte er flehentlich um Verstärkung gebeten: Seine Männer seien mit den Kräften am Ende, hatte er seinen Vorgesetzten erklärt, sie könnten nicht mehr und seien vor allem zu wenige, um einen effizienten Kontrolldienst aufrechtzuerhalten. Er könne weder eine verantwortliche Dienstausübung noch die Unversehrtheit seiner Männer garantieren.
    Sogar einen offiziellen Bericht hatte er verfasst. Ein Austausch der Soldaten, die seit über einem Monat hier Dienst tun, ist dringend geboten – hieß es da. Unter diesen Bedingungen kann ich, der befehlshabende Unteroffizier, die Verantwortung für meine Untergebenen, die sich in solch prekärer körperlicher und seelischer Verfassung befinden, nicht länger tragen . Dann hatte er den Umschlag in den Korb gesteckt, der an einem Seil vom Rumpf des Hubschraubers herunterhing, der sie mit Proviant und Munition versorgte.
    Ein weiterer Monat war verstrichen und Verstärkung nicht in Sicht und auch keine Ablösung. Selbst der Hubschrauber war wegen des Sturms schon seit Tagen nicht mehr geflogen. Die Konserven waren fast alle aufgebraucht, und nur noch ein wenig Mehl war übrig geblieben. Wer sich aufs Schießen verstand, hatte von ihm die Erlaubnis erhalten, auf die Jagd zu gehen, und den einen oder anderen Hasen hatten sie schon zu essen bekommen. Doch das reichte nicht für alle, und so langsam machte sich der Hunger bemerkbar. Abends saßen sie um das Radio versammelt, um aus dem rauen Krächzen, das es von sich gab, die Wärme menschlicher Stimmen herauszuhören. Wie Bergleute, die in einen düsteren, schlammigen Schacht vordrangen, um nach Rubinen zu suchen.
    Jetzt zog er den Füllhalter unter seiner Achselhöhle hervor, die offenbar sehr viel mehr Wärme abgeben konnte, als er in sich spürte. Flüssig lief die Tinte wieder übers Papier.
    3 Uhr 45.
    Auf einem Kontrollgang zu den um das Gebäude herum eingerichteten Wachposten erreichte ich um 3 Uhr 25 auch den Posten 6 Nordwest, der nach Wachplan bis um 4 Uhr früh dem Aushilfscarabiniere Ciriello Salvatore zugewiesen war.
    Ich fand ihn leer vor.
    Der Vicebrigadiere hielt inne. Strich etwas durch, verbesserte es.
    Ich fand ihn verlassen vor.
    Zurück im Gebäude begab ich mich zum Schlafsaal, wo ich, obwohl sein Wachdienst erst fünfunddreißig Minuten später endete, den Aushilfscarabiniere Ciriello Salvatore schlafend auf seiner Pritsche liegend vorfand.
    Der Vicebrigadiere las noch einmal durch, was er geschrieben hatte. Er seufzte tief und hob den Blick zu der Wand, von der der Putz abblätterte. Dann steckte er sich wieder den Füllfederhalter unter die Achselhöhle, um in Ruhe nachzudenken und ohne die Sorge, dass die Tinte wieder einfrieren könnte. Doch die Denkpause dau erte nicht lange. Er setzte wieder an und schrieb jetzt, ohne innezu halten, in sein Notizbuch, als müsse er unbedingt etwas loswerden.
    Ich entschloss mich jedoch, über den Vorfall keinen Bericht zu erstatten und den Verantwortlichen keiner Strafe zuzuführen, denn er ist ja nur ein junger Bursche, der Schlaf braucht, seit einem Monat schläft er schon nicht mehr richtig, und jetzt kommt auch noch der Hunger dazu und dieser eiskalte Wind, dass man die Augen nicht offen halten kann, da ist es schließlich kein Wunder, dass sie am Ende sind und durchdrehen, so kann man doch nicht leben, denen da unten im Tal ist das überhaupt nicht klar, die haben ja keine Ahnung …
    Er hielt wieder inne wie ein Läufer, der ruckartig stehen bleibt, aber durch den Schwung fast ins Straucheln gerät.
    Seine privaten Aufzeichnungen würde er zwar niemandem zeigen, am allerwenigsten seinen Vorgesetzten, dennoch be gann er jetzt, mit dicken Federstrichen die Worte »Ciriello« und »Salvatore« durchzustreichen. Und so verschwand unter einem dunklen Fleck der Name des Aushilfscarabiniere, der seinen Posten verlassen hatte.
    Man konnte

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