Eva und die 40 Maenner - Roman
schon flexibler – und außerdem ziemlich mit sich selbst beschäftigt.
»Wie ist es zu Hause?«, fragte sie spontan. Über ihr schiefgegangenes Gespräch mit Marcel vor zwei Tagen brauchte Oliver ja nicht unbedingt etwas zu wissen. Oder dass sie ihr Handy zerstört und unschuldige Passanten massakriert hatte.
Ihr Sohn zuckte die Achseln. »Na ja … ziemlich still. Wir sehen uns nicht so oft, weißt du? Aber ich finde, er macht nicht gerade viel im Haushalt. Dabei hab ich wegen Abi und so echt nicht so viel Zeit, das sollte er eigentlich wissen.«
Eva verkniff sich ein Lächeln angesichts Olivers finsterer Miene. Anscheinend hing der Haussegen in Möckern immer noch nicht ganz gerade. Andererseits bedeutete Ollis Bemerkung offensichtlich auch, dass Marcels Geliebte noch nicht eingezogen war. In den dunklen Stunden der Nacht nagte diese Vorstellung immer noch sehr an ihr. In einer spontanen Anwandlung beschloss sie, einfach nachzufragen.
»Ist er … bringt er seine Freundin manchmal mit?«
Oliver sog hörbar die Luft ein. »Nein! Was denkst du denn?! Das würde ich … das wagt er nicht. Oder vielleicht will er auch nicht, keine Ahnung. Aber ich bin ja dauernd zu Hause, wegen Abi und Lernen und so, und das wüsste ich.« Er sah ganz empört drein.
»Eigentlich geht es mich auch nichts an«, sagte Eva und sah ihn offen an. »Aber es lässt einen nicht so schnell los, verstehst du das?«
»Na klar.« Er nickte wissend, als sei er ein ausgewachsener Mann mit viel Erfahrung.
Als sie das sah, schlug plötzlich der Schmerz über ihr zusammen wie eine Welle, deren Kraft man völlig unterschätzt hat. Ihr war, als müsste sie nach Luft schnappen: Ihr Kind war groß, es war kein Kind mehr, und die Liebe, aus der heraus es entstanden war, war tot. Wie sollte man diesen Verlust ertragen? Keine Familie mehr. Kein kleiner Junge, der mit roten Backen und falschen Tönen Weihnachtslieder kräht, der mit aufgeschrammtem Knie und stolzem Blick seine ersten Skateboard-Künste präsentiert. Kein Geliebter und Kindsvater, der noch einmal von der Straße aus winkt, wenn er das Haus verlässt, dessen warme Hand sich beim Spazierengehen plötzlich um die eigene schließt. Aus, vorbei …
Eva blieb einfach stehen. Umarmte ihren Sohn, küsste ihn aufs Haar, kniff die Augen fest zusammen. Nein, sie würde jetzt nicht weinen. So war das Leben, und anderen ging es noch viel schlechter, daran sollte sie denken! Sie atmete einmal tief ein – und merkte, dass sie fast am Haus der Breitlings angekommen waren.
»Hier ist es ja schon.« Sie lächelte und kramte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel.
»Wann, glaubst du, kannst du dir eine eigene Wohnung leisten?«
Die Unverblümtheit der Jugend. Eva ging es augenblicklich besser. »Keine Ahnung«, sagte sie mit schiefem Grinsen. »Ich arbeite dran.«
»Weißt du, ich hab mich nämlich gefragt …« Olivers Wangen färbten sich ein wenig rot. »… ob du vielleicht etwas Geld übrig hast. Ich hab wegen Abi und so ein bisschen viel telefoniert … und dann die Fahrkarte hierher. Jedenfalls hab ich im Moment noch 5 Euro im Portemonnaie, und das hier ist Berlin …«
Eva musste lachen. »Ich verstehe. Was hältst du davon, wenn ich dir das Geld für die Fahrkarte gebe? Ist ja schließlich meine Schuld, dass du hierherkommen musst, um mich zu besuchen.«
»Wieso denn? Ist doch Papas Schuld, oder etwa nicht?« Er hatte seine Verlegenheit schon wieder überwunden.
»Dann soll er dir eben auch was geben. Ich hab jedenfalls erst mal noch genug.«
Oliver brauchte ja nicht unbedingt zu wissen, dass das »genug« bald vorbei sein würde. Schon im nächsten Monat würde kein Gehalt mehr auf ihrem Konto eintrudeln. Doch wenn sie sich trotz dieser düsteren Aussichten ein neues Paar Schuhe gönnte, konnte sie Oliver gegenüber allemal großzügig sein. Das finanzielle Problem würde sie schon lösen. Und bis dahin den Besuch ihres Sohnes genießen, nichts sonst.
Sie gingen nach oben und begrüßten Silke und Lena, die am Küchentisch Hausaufgaben machten. Silke war überschwänglich, wie immer bei Besuch, aber Eva wusste, dass sie Oliver tatsächlich gern mochte. Wer hätte ihn auch nicht gemocht? Sie betrachtete ihren Sohn heimlich, während sie zusammen saßen und plauderten. Unverschämt gut sah er aus, empfand Eva mit einem Anflug von Stolz.
Silke bestand darauf, das Wohnzimmersofa als Bett aufzuschlagen. Obwohl Eva gerne wieder einmal das Atmen ihres Sohnes in der Nacht gehört hätte,
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