Eve & Adam (German Edition)
zu.
Blitzschnell streckt Solo die Hand aus und ich werde an Bord gerissen. An der Bank schlage ich mir die Knie an und stürze. Ich lande mit den Händen im knöchelhohen kalten Wasser auf dem Boden des Boots.
Aislin springt und kommt unsanft auf. Durch die Wucht treibt das Boot aber ein Stück vom Steg ab.
Der Motor springt an und röhrt heiser. Es stinkt nach Diesel.
Der erste Verfolger springt los.
Das Boot ist einen halben Meter vom Steg entfernt und nimmt Fahrt auf. Der Mann verfehlt es und knallt mit dem Gesicht gegen die Außenwand.
Die anderen drei Männer bleiben schlitternd auf dem Steg stehen.
Solo schnappt sich eine orangefarbene Rettungsweste und wirft sie in das schäumende Wasser, in dem der Mann untergetaucht ist.
»He!«, brüllt er Richtung Ufer. »Holt ihn raus, sonst ertrinkt er!«
Der Motor heult auf und wir rasen in die Nacht hinein.
»Bis sie ihn aus dem Wasser gezogen haben, vergehen ein paar Minuten«, sagt Solo. »Aber dann nehmen sie die Verfolgung wieder auf.«
»Welches Boot ist schneller?«, frage ich.
»Gute Frage«, meint er. »Keine Ahnung.«
Nebel hüllt uns ein und der silbrige Schein des Mondes erlischt. Sollte plötzlich eine Mauer vor uns auftauchen, würden wir sie viel zu spät sehen.
»Und jetzt?«, fragt Aislin atemlos.
Solo sitzt am Steuer. Es ist zu niedrig für ihn, er muss sich bücken – keine sehr heroische oder vorteilhafte Haltung. Seine Haare wehen im Wind, nur nicht an den Stellen, die blutverkrustet sind.
Wir sind eine traurige Besatzung. Aislin hat noch ihr blaues Auge und Solo … Jetzt, bei näherem Hinsehen, sieht sein geschundenes Gesicht schon ein wenig besser aus. Aber er braucht dringend eine Dusche.
Ich werfe einen Blick über die Schulter, zu dem hinter uns aufragenden Gebäudekomplex von Spiker Biopharm. In einigen Büros brennt Licht, andere sind dunkel.
Jedenfalls ist die Firma das Hellste, was weit und breit zu sehen ist, und ich fühle mich seltsam von ihr angezogen. Überall sonst ist es düster, aber dort ist es trocken und sicher und es gibt genug zu essen. Hier draußen hingegen wissen wir nicht einmal, in welche Richtung wir fahren sollen.
»Wir könnten Angel Island anpeilen!«, ruft Solo über den Lärm des Motors hinweg. »Da gibt es nur einige Camper. Aber wir haben weder Schlafsäcke noch Zelte. Oder wir fahren zur Stadt.«
In der Bucht von San Francisco liegen viele Städte, aber mit der Stadt kann nur San Francisco gemeint sein. Meine Heimatstadt.
Ich halte nach ihr Ausschau, aber sie ist hinter dem dichten Nebel verborgen. Kein einziges Licht ist zu sehen. Die Taschenlampen auf dem Steg sind es jedoch immer noch.
»Ich habe eine Idee«, sage ich. »Gibt’s hier irgendwo ’ne Taschenlampe?«
»Sieh in der Kiste nach!«, ruft Solo.
Ich durchwühle Angelzeug, Wasserflaschen und Rettungswesten, bis ich eine Taschenlampe finde. Ich probiere sie in der Kiste aus. Sie funktioniert. Es ist ein gutes, wasserfestes Modell.
Ich nehme eine Weste heraus, wickle einen Gurt um die Lampe und verknote ihn, so fest ich kann.
Dann schalte ich die Lampe ein und lege die Weste neben dem Boot ins Wasser. Sie entfernt sich auf und ab hüpfend hinter uns, dann wird sie von der Strömung der Gezeiten erfasst und meerwärts in Richtung Golden Gate getrieben.
»Schlau«, bemerkt Solo.
»Sie werden das Licht sehen und denken, wir sind es«, erkläre ich. Dann füge ich noch hinzu: »Es zieht die Menschen doch immer zum Licht hin, oder?«
Niemand antwortet. Wir wissen alle, dass es nicht stimmt. Manche Menschen fühlen sich im Dunkeln wohler.
»Ich kann Zelten nicht ausstehen«, sage ich. »Fahr zur Stadt.«
29
SOLO
»So«, sagt Aislin, nachdem wir das Boot an der Fisherman’s Wharf festgemacht haben, »und was jetzt?«
»Weiter habe ich nicht geplant«, gestehe ich.
Das Hafenviertel schläft, aber in ein paar Stunden werden die ersten Boote hereinkommen. Bald erscheinen auch schon die Touristen, Frühaufsteher auf der Suche nach einer Latte macchiato und einem Croissant.
Doch noch ist die Wharf eine in Nebel gehüllte Geisterstadt mit Fischrestaurants und geschlossenen Souvenirläden. Ausflugsboote und Fähren liegen schaukelnd und knarrend an den Piers. Die Edelstahltische, auf denen sich bald Krabben und Fische auf einem Bett von zerstoßenem Eis türmen werden, sind noch mit Planen zugedeckt.
Ein Obdachloser, der einen schwer beladenen Einkaufswagen vor sich herschiebt, bleibt an einem Mülleimer stehen, ohne uns zu
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