Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
ich ihn beobachtete, fiel mir auf, wie selbstverständlich er in seine öffentliche Rolle schlüpfte. Seine Stimme klang lauter, seine Schultern strafften sich. Jedes Wort schien zuvor eingeübt worden zu sein, jedes noch so leichte Nicken und jede Geste waren sorgfältig überlegt und sollten Vertrauen einflößen. »Unser Landwirtschaftsminister arbeitet an Methoden zur Algenherstellung. Die Forellen stammen aus einer Fischfarm auf dem Lake Mead. Es ist kein idealer Ersatz, aber es wird seinen Zweck erfüllen, bis wir die Fischfangflotten wieder auf die Meere aussenden können.«
Sie nahmen neben mir Platz, Reginald kritzelte immer noch in sein Notizbuch. Charles’ Augen folgten mir. Er starrte mich an, bis ich ihn ansah. »Sagen Sie jetzt bloß nicht Hallo oder so«, sagte er und zog neckisch eine Augenbraue hoch. »Wissen Sie, allmählich nehme ich es persönlich.«
»Ich denke, Ihr Ego schafft das schon«, sagte ich und schnitt einen der gelblichen Klöße klein, die ich an dem polnischen Stand entdeckt hatte.
Der König nahm meine Hand und drückte sie so fest, dass es schmerzte. »Genevieve ist zu Scherzen aufgelegt.« Er lachte und machte eine unscheinbare Handbewegung in Reginalds Richtung, als wolle er sagen: Schreiben Sie das nicht auf.
Dann räusperte er sich und sprach weiter. »Dies ist erst der Anfang. Die Stadt hat sich als brauchbares Modell für die anderen Städte des Neuen Amerika erwiesen. Es gibt drei autonome Kolonien im Osten. Jeden Tag sorgen sich Menschen in diesen Kolonien, wo ihre nächste Mahlzeit herkommen soll und ob sie von ihren Nachbarn angegriffen werden. Es gibt keine Elektrizität, kein warmes Wasser – die Menschen überleben nur. In der Stadt aus Sand hingegen überleben wir nicht nur – wir gedeihen. Das ist das, was man leben nennt.«
Er deutete auf den blendend weißen Marmor und die klaren blauen Teiche. »Es gibt so viel Land, das urbar gemacht werden kann, und Charles und sein Vater haben bewiesen, dass wir den Wiederaufbau schnell und effektiv verwirklichen können. In sechs Monaten werden wir mit dem Bau einer Mauer um die erste Kolonie beginnen – einer Siedlung auf dem ehemaligen Gebiet von Texas.«
»Ich kann es kaum erwarten zu sehen, was du daraus machst.« Clara rückte näher an Charles heran. »Ich habe die letzten Monate die Gespräche der Bewohner über den Markt hier verfolgt und hätte nie gedacht, dass er so unglaublich wird.«
»Vieles davon verdanken wir Mr McCallister«, sagte Charles und winkte dem Landwirtschaftsminister zu, einem Mann mit Brille, der neben einem hohen Wandgemälde der Alten Welt stand, auf dem jedes Land in einer anderen Farbe dargestellt war. »Ohne die Fabriken, die er in den Außenbezirken gebaut hat, oder die neuen Züchtungsmethoden, die er entwickelt hat, gäbe es nichts davon.«
»Du bist sehr bescheiden. Dies hier war deine Vision«, flötete Clara. Sie deutete auf Reginald. »Ich hoffe, Sie schreiben das auf. Charles hat sich alles schon vorgestellt, als der Palast noch nicht fertig war und die meisten Gebäude nach wie vor unsaniert. Du redest seit ich mich erinnern kann darüber, die Vielfalt der Welt in die Stadtmauern zu bringen.«
Ich konnte sie kaum ansehen. Lehrerin Agnes’ Stimme hallte in meinem Kopf wider, ihre Warnungen bezüglich Männern und der trügerischen Natur des Flirtens. Bezaubern ist nichts weiter als ein Verb, pflegte sie zu sagen, etwas, das Männer tun, um Kontrolle über Frauen zu gewinnen. Ich wünschte mir, sie könnte es sehen: Clara, wie sie sich vorbeugte, ihre Finger auf Charles’ Arm legte, ihr blondes Haar demonstrativ hinters Ohr strich.
Ich sah zum ersten Mal eine Frau unverhohlen flirten. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um nicht loszuprusten, aber es war zu spät. Ein leises Glucksen entwischte meinen Lippen. Ich drehte mich weg und versuchte, es als Hustenanfall abzutun.
»Was ist denn so lustig, Genevieve?«, erkundigte sich der König.
Clara musterte mich fragend. Während sie sich am Tisch umsah, huschte die Andeutung eines Lächelns über ihre Lippen. Alle schwiegen und sahen mich an. »Und was hast du eigentlich letzte Nacht gemacht?«, fragte sie laut und legte den Kopf schief, als wäre es die denkbar unschuldigste Frage.
»Du hast deine Suite verlassen?« Der König wandte sich zu mir. Ich schob die Hände unter den Tisch und umklammerte den Rock meines Kleides, um sie ruhig zu halten. Ich hatte sein Gesicht an diesem Morgen beim Frühstück betrachtet und
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