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Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt

Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt

Titel: Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Carey
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verschaffte uns eine flüchtige Abkühlung von der Hitze. Zwei ältere Frauen traten an den Brunnen heran, sie hielten abgegriffene Fotos in der Hand. Sie beobachteten die anderen, die um den Brunnenrand herumstanden. »Worauf warten eigentlich alle?«, fragte ich.
    »Das werden Sie gleich sehen …«, sagte Charles. Er sah auf die Uhr. »In drei … zwei … eins …« Auf der Hauptstraße erklang Musik. Alle traten einen Schritt zurück. Fontänen durchbrachen die Wasseroberfläche und schossen gen Himmel. Sie wurden höher und höher und höher, bestimmt sieben Meter hoch. Der kleine Junge stellte sich auf die Brunneneinfassung und klatschte. Charles’ Gesicht strahlte wie das eines Kindes. Er johlte laut und streckte die Faust in die Luft, bei seinem Anblick mussten sogar die Soldaten lachen.
    Als sich die Windrichtung änderte, ergoss sich ein Sprühregen über uns und durchnässte die Vorderseite meines Kleides. Das kalte Wasser fühlte sich gut an auf meiner Haut. Ich schloss die Augen, während das Klatschen und Jubeln um mich herum lauter wurde, und genoss diese wenigen letzten Minuten fernab vom Palast.

ZWANZIG
    Clara und ich fuhren die lange Bogenrolltreppe zur Galerie im zweiten Zwischengeschoss hoch. Ich hatte mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass sich die Metalltreppen bewegten, und wusste nie, ob ich sie hochlaufen oder einfach darauf stehen, mich an der Balustrade festhalten und nach oben gleiten sollte. Vom Atrium über uns strömte Licht herein. Ich betrachtete die Wandmalereien und die riesigen Statuen von Frauen in Gewändern, die auf Marmorsäulen standen, die Pferdeskulptur unter uns, die im Sprung erstarrt zu sein schien, und die Fontänen, die aus ruhigen türkisfarbenen Becken aufschossen. Auf eine schreckliche Art war der Palast genau so, wie Pip ihn sich immer vorgestellt hatte – ein strahlendes Modell der Vollkommenheit.
    Ich konzentrierte mich auf die Umgebung und tat, als wäre ich allein. Der König hatte an diesem Morgen vorgeschlagen, dass Clara mir die Kunstgalerie zeigen solle. Es wäre doch nett für uns, Zeit miteinander zu verbringen, damit ich meine Kusine kennenlernte. Ich wusste, dass nichts davon der Wahrheit entsprach, fügte mich aber in der Hoffnung, ich würde dadurch zufriedener mit meiner Position im Palast wirken. Wie ein Mädchen, das keine Geheimnisse hat.
    »Wie war deine Verabredung mit Charles?«, fragte Clara nach einer ganzen Weile. Der Soldat, der uns immer mit einigen Schritten Abstand folgte, trat von der Rolltreppe.
    »Es war keine Verabredung«, sagte ich scharf. Ich erinnerte mich aus der Schule an diesen Begriff. Die Lehrerinnen hatten ihn als Teil der Werbungsphase beschrieben. Sie hatten uns erklärt, dass Männer sich manchmal wie Gentlemen verhielten, bevor sie ihre wahren Absichten zeigten.
    Wir schlenderten an der niedrigen Brüstung vorbei. Unter uns liefen Einkäufer durch den Lichthof, von Zeit zu Zeit blickten sie nach oben, um zu sehen, wohin wir gingen. Über dem Eingang der Galerie hing ein großer Bildschirm, der alle paar Sekunden das Bild wechselte. Zuerst kam eine Werbung für das neue Marktrestaurant: ERÖFFNUNG DIESE WOCHE! Dann wechselte das Bild zu einer Aufnahme aus der Zeitung am Vortag, auf der ich auf dem Rücksitz eines Autos saß. Die Überschrift lautete: PRINZESSIN GENEVIEVES BMW CABRIO VON GERRARD MOTORS RESTAURIERT: INDIVIDUELLE ÜBERHOLUNG UND AUTOMOBILAUSSTELLUNG SEIT 2035.
    »Du rennst die ganze Zeit mit angewiderter Miene durch die Gegend, dabei bist du die Prinzessin des Neuen Amerika«, brummte Clara. »Andere würden für deine Stellung sonst was tun.« Wie sie es sagte – diese Betonung auf sonst was tun –, verunsicherte mich.
    »Wann warst du das letzte Mal außerhalb dieser Mauern?«, fragte ich. »Vor zehn Jahren?«
    Claras strohblondes Haar war zu einem Zopf geflochten, der um den Kopf geschlungen und im Nacken festgesteckt war. »Worauf willst du hinaus?« Sie musterte mich mit ihren grauen Augen.
    »Du kannst doch überhaupt nicht mitreden, ob ich ein Recht habe, wütend oder angewidert zu sein. Du hast doch keine Ahnung, wie die Welt außerhalb deiner Blase aussieht.« Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging durch den Haupteingang in die Galerie.
    Der Raum war kühl und bis auf ein paar Schulkinder, die in der Ecke zusammenstanden, leer. Ihre grauen Uniformen ähnelten der, die ich getragen hatte. Einen kurzen Moment lang blieben der Soldat und Clara hinter mir und ich hatte das großartige

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