Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
wenn sie dich hier aufspüren?«
»Ohne Hemd bin ich einfach nur einer der Arbeiter hier.« Caleb legte die Hand auf die Stelle auf seiner Schulter, wo seine Tätowierung war. Sie war mir am ersten Tag, als ich ihn getroffen hatte, aufgefallen – der Kreis mit dem Wappen des Neuen Amerika darin. Jeder Junge aus den Arbeitslagern hatte eine, sie war sozusagen ein Stempel, der sie als Eigentum des Königs brandmarkte. »Sie suchen in der Wildnis nach mir, sie rechnen nicht damit, dass ich wie jeder andere Sklave in den Außenbezirken schufte.«
»Und Moss? Wo ist er?«, fragte ich.
»Es ist besser, wenn du das nicht weißt.« Caleb zog seine Mütze tiefer ins Gesicht, um seine Augen zu verbergen. »Ein paar Monate vor meiner Ankunft wurde ein Dissident festgenommen. Man muss davon ausgehen, dass er gefoltert wurde. Er verriet Namen. Plötzlich verschwanden Leute im Gefängnis.«
»Wurde der Mann umgebracht?«, fragte ich mit zugeschnürter Kehle.
»Eine unserer Kontaktpersonen arbeitet als Hausmeister im Gefängnis, aber er schaffte es nicht rechtzeitig zu ihm. Es war ein herber Schlag. Die Dissidenten betrachten einander als Familie: Wenn einer in Schwierigkeiten ist, sind es alle. Sie hätten alles unternommen, um ihm zu helfen.«
Ich drückte Calebs Hand, während ich ihm vom letzten Vierteljahr erzählte: meiner Zeit in Califia, Ardens Ankunft dort, unserer Flucht und Gefangennahme, meinen Tagen im Palast mit dem Mann, der sich als mein Vater bezeichnete. Als ich zu Ende erzählt hatte, waren nur noch wenige Gäste da. Die Hälfte der Nischen war leer, die Tische standen voller Gläser und überquellender Aschenbecher.
Caleb schob ein paar Haarsträhnen unter meine Mütze zurück, so sanft, dass ich fast geweint hätte. Anschließend zog er ein zusammengefaltetes Stück Papier aus der Hosentasche und breitete es auf dem Tisch aus, es war eine Karte der Stadt, auf der verschiedenfarbige Routen eingezeichnet waren. Er erklärte, dass die Soldaten festgelegte Abläufe hatten, bestimmte Straßen, die sie im 90-Minuten-Takt kontrollierten. Die Dissidenten hatten ihre Muster herausgefunden und nutzten sie, um sich unbemerkt zu bewegen. Er zeichnete eine Route auf einer Serviette nach, markierte den Weg zurück ins Stadtzentrum, wie ich wieder in den Palast hineinkam und welches Treppenhaus ich benutzen musste. Danach zeichnete er mir noch eine Route auf, die ich zwei Nächte später nehmen sollte.
»Wir treffen uns hier«, sagte er und deutete auf eine Stelle auf der zweiten Karte. »Es gibt einen zweiten Dissidenten, der nachts in jenem Gebäude arbeitet und dir den richtigen Weg zeigen wird.« Er betrachtete mein Gesicht und lächelte. »Ich habe eine Überraschung für dich.«
»Was denn?«, fragte ich.
»Wenn ich es dir verraten würde, wäre es ja keine Überraschung mehr, oder?« Er lachte.
Ich starrte auf die Stelle, die er markiert hatte; sie befand sich mitten auf der Hauptstraße, schräg gegenüber der Springbrunnenanlage des Palastes. »Aber du könntest erwischt werden.«
»Mich erwischen sie nicht«, sagte Caleb. Er strich die Ecken des Blatts mit der Handfläche glatt. »Das verspreche ich dir. Komm einfach dorthin.«
»Wie lange wird es noch dauern, bis die Tunnel fertig sind? Können wir uns bis dahin nicht einfach verstecken?« Er erwiderte, die anderen Dissidenten würden sich wegen seiner Treffen mit mir Sorgen machen, weil es sie gefährden könnte, dass er ihnen jedoch versichert hatte, dass sie mir trauen konnten.
Caleb schüttelte traurig den Kopf. »Wir wissen nicht, wie lange es noch dauern wird. Der am weitesten vorangeschrittene Tunnel befindet sich im Stillstand. Um weiterzumachen, brauchen wir Pläne. Wenn du plötzlich weg bist … wissen sie, dass du dich irgendwo innerhalb der Mauern aufhältst. Sie werden nach dir suchen.« Er legte mir die Hand auf die Wange. »Immerhin ist es ein gutes Zeichen, dass du es heute Nacht hierhergeschafft hast. Bis alles sicherer ist, müssen wir uns einfach auf diese Weise treffen.«
Wir blieben noch eine Weile so sitzen, ich schmiegte mein Gesicht an seine Brust, bis die Sängerin ihr letztes Lied sang. Die Band packte ihre Instrumente zusammen. Gläser klirrten. Wir gingen langsam nach draußen.
Während wir die Treppen hinaufstiegen und unseren Weg in der Dunkelheit ertasteten, lag Calebs Arm um meine Taille. Die Außenbezirke waren ruhig. Hinter einem Vorhang im Fenster eines ehemaligen Motels bewegten sich Gestalten. Wir kamen an
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