Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
das nicht immer die Frage? Wann wirst du zufrieden sein? Wenn du jeden in diesem Land unter deiner Kontrolle hast? Meine Freundinnen haben ihr Leben geopfert. Arden und Pip und Ruby sind immer noch dort.« Bei der Erwähnung ihrer Namen drehte sich der König weg.
Das Schweigen um uns war bedrückend. Ich starrte auf seinen Rücken, die Antwort stand fest, bevor ich überhaupt die Frage stellte. »Du wirst sie nicht freilassen, richtig? Das hattest du nie vor.« Er wich meinem Blick noch immer aus.
Er atmete kontrolliert, jeder Atemzug kam langsam, gedehnt, erschreckend im Takt. »Ich kann nicht«, sagte er schließlich. »Ich kann keine Ausnahme für sie machen. So viele junge Frauen haben ihren Dienst geleistet. Es wäre nicht gerecht.«
»Für mich hast du eine Ausnahme gemacht«, versuchte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Du bist meine Tochter.«
Mir schnürte es die Kehle zu. Ich dachte an Pips Gesicht, als sie sich neben mir zusammengerollt und ihre Wange auf mein Kissen gedrückt hatte. Die Lichter der Schule waren bereits ausgeschaltet. Ruby schlief. Wir lagen dort Hand in Hand, durch das Fenster fiel Mondlicht. Versprich mir, dass wir uns, sobald wir in der Stadt sind, nach einem Kleiderladen umsehen. Sie drückte ihren Kragen, es war dasselbe gestärkte weiße Nachthemd, das auch alle anderen trugen. Ich hoffe, ich muss diese Dinger nie wieder sehen.
»Der Abstammung nach«, murmelte ich. »Ich bin der Abstammung nach deine Tochter. Aber ich gehöre nicht hierher, an diesen Ort. Nicht zu dir.«
Endlich sah er mich an. Etwas in seinem Gesicht veränderte sich. Seine Augen waren klein und berechnend und musterten mich, als sähen sie mich zum ersten Mal. »Wo gehörst du denn dann hin? Zu ihm?«
Ich nickte und war kurz davor, in Tränen auszubrechen.
Der König rieb sich die Schläfen und ließ ein kleines trauriges Lachen hören. »Das darf nicht passieren. Die Menschen erwarten, dass du mit jemandem wie Charles zusammen bist – nicht mit irgendeinem Flüchtigen aus den Arbeitslagern. Charles ist die Sorte Mann, die du heiraten solltest.«
»Wer bist du, mir zu sagen, was ich tun soll? Mit wem ich zusammen sein soll?«, schoss ich zurück. »Du kennst mich seit weniger als einer Woche. Wo warst du, als ich allein mit meiner Mutter in diesem Haus war, als ich zuhörte, wie sie starb?«
»Ich habe es dir erklärt«, erwiderte der König mit einem scharfen Unterton. »Ich wäre dort gewesen, wenn es möglich gewesen wäre.«
»Klar«, sagte ich. »Und du hättest deiner Frau von ihr erzählt – der Zeitpunkt hat dummerweise nicht gepasst. Und irgendwann sanierst du die Außenbezirke und gibst den Arbeitern anständige Wohnungen, genau wie du bald Zoos und Museen und Vergnügungsparks errichtest und die drei Kolonien im Osten wieder aufbaust.«
Der König hielt die Hand hoch, um mich zum Schweigen zu bringen. »Das reicht jetzt. Was immer sie dir erzählt haben, Genevieve, was immer sie über mich gesagt haben – sie haben Absichten, die du nicht mal ansatzweise verstehst. Sie wollen dich gegen mich aufbringen.«
»So ist es nicht.« Ich schüttelte den Kopf und hasste es, dass die Sicherheit in seiner Stimme so viel Zweifel in meiner schürte. »Caleb wäre in diesem Arbeitslager gestorben, wenn er nicht geflohen wäre. Du kennst ihn nicht.«
»Das brauche ich auch nicht«, sagte der König und kam auf mich zu. »Ich weiß genug. Jetzt frage ich dich noch ein Mal. Ich muss wissen, ob er mit jemandem zusammengearbeitet hat, ob du von irgendwelchen Plänen gehört hast, den Palast anzugreifen. Hat irgendjemand dich bedroht?«
Ich konzentrierte mich auf Calebs Worte, all die Dinge, die er in jener ersten Nacht in dem Kellerlokal gesagt hatte, als er mir von den Dissidenten erzählt hatte, die gefoltert worden waren. »Er hat mit niemandem zusammengearbeitet«, sagte ich ruhig und wünschte mir, der König würde mich nicht mehr ansehen. »Er war nur meinetwegen in der Stadt.«
»Wie bist du aus deiner Suite herausgekommen?«, bohrte er weiter. »Hat Beatrice dir dabei geholfen?«
»Nein – sie wusste nichts davon«, sagte ich und presste die Handflächen aneinander. »Ich habe mir den Code zusammengereimt. Eine Tür im östlichen Treppenhaus war nicht verriegelt. Die Palastuniform habe ich aus einer Wohnung in den Außenbezirken gestohlen.« Ich dachte an das Flugzeug, das verlassen im Hangar stand, die zerknüllten Decken, die erloschenen Laternen. Sie würden nun den Code ändern und
Weitere Kostenlose Bücher