Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
zweite Chance im Leben haben wollen. Das Programm zielt darauf ab, das Neue Amerika wachsen zu lassen, während gleichzeitig Menschen wieder die Freude erfahren, eine Familie zu haben. Wir wünschen Ihnen Glück.«
»Das bedeutet uns sehr viel«, sagte der Mann leise, bevor er seine Frau auf die Stirn küsste. Er trug keine Uniform, vermutlich gehörte er zur Mittelklasse. Einige arbeiteten in den Büros im Venetian, andere hatten einen Laden im Palast oder in den Apartmentgebäuden auf der Hauptstraße. Seine Kleider waren leicht abgetragen, die Säume ausgebessert, am Ellbogen seines Hemdes war ein kleines Loch zu erkennen.
Margaret trat zur Seite und führte uns wieder auf den Gang hinaus, die Tür schloss sich mit einem Klacken. Nach einigen Schritten drehte sie sich zu uns um.
»Es ist hart«, sagte sie mit leiser Stimme. »Mrs Sherman hat ihre gesamte Familie verloren – einen Ehemann und zwei Kinder, eines davon nur sechzehn Monate alt. Mr Sherman verlor seine Frau. Nachdem nun Zeit vergangen ist und sie sich in der Stadt etwas aufgebaut und wieder geheiratet haben, möchten sie eine Familie gründen. Aber es reißt auch alte Wunden auf.«
Der König schwieg. »Natürlich«, sagte er nach einer ganzen Weile. »Das können wir alle nachvollziehen.«
Wir stiegen wortlos die Treppe hinunter, unsere Schritte hallten von den kahlen Wänden wider. In der Haupthalle verabschiedeten wir uns von Margaret, die Kamera klickte, als ich ihr die Hand schüttelte. Wir ließen Reginald, der in sein Notizbuch schrieb, an der Eingangstür zurück. Ich dachte an das Baby, sein süßes Gesicht, die Art, wie es die Augen geöffnet und mich für einen kurzen Moment angeschaut hatte. Sobald ich die Stadt verlassen hatte, gab es kein Zurück mehr. Der König würde nach mir suchen und Caleb und ich wären für immer auf der Flucht. Ich könnte nicht zu den Schulen zurückkehren. Ich würde nie wieder zu Pip und Arden zurückkommen. Sie wären in dem Ziegelgebäude gefangen, ihre Kinder würden in dieses sterile Zentrum transportiert werden. Ich sah Rubys Gesicht wieder vor mir, die glasigen Augen, als sie sich gegen den Zaun lehnte.
Ich musste jetzt Verbindung mit ihnen aufnehmen, bevor ich wegging.
Eingehüllt in die Hitze des Tages begann ich, die Treppen hinunterzulaufen. Die Sonne blendete mich, sie schien durch die Reflexion des Sandsteingebäudes heller, unerbittlicher. »Vater«, sagte ich und war mir bewusst, dass ich die Anrede benutzte, die ich so lange vermieden hatte. Der König hob den Kopf. Die Wagen fuhren die kreisförmige Auffahrt hoch. Die Soldaten formierten sich, um uns hinauszubegleiten. »Ich würde gern meine alte Schule besuchen, und sei es nur, um die jüngeren Mädchen zu sehen. Ich möchte ein letztes Mal dorthin zurück.«
Reginald und sein Team stiegen in den zweiten Wagen, während die Soldaten auf der Straße standen und auf uns warteten. »Ich weiß nicht, ob das machbar ist. Du musst dich auf die Hochzeit vorbereiten und es könnte Diskussionen –«
»Bitte«, versuchte ich es noch mal. »Ich will sie einfach noch ein letztes Mal sehen. Ich habe zwölf Jahre meines Lebens dort verbracht. Es ist wichtig für mich. Außerdem könnte ich zu den Schülerinnen als Prinzessin des Neuen Amerika sprechen.« Ich versuchte, unbeteiligt zu klingen. Die Soldaten blickten zu uns hoch und warteten darauf, dass wir die Treppe hinuntergingen. Einige Leute auf der Straße waren stehen geblieben, um sich das Schauspiel anzusehen: König und Tochter unterwegs in der Stadt.
Er kam auf mich zu und legte mir den Arm um die Schultern. »Wahrscheinlich ist es gar keine so schlechte Idee«, sagte er. »Berichten zufolge waren die Mädchen durch dein plötzliches Verschwinden sehr verwirrt.« Wir stiegen in den kühlen Wagen, seine Hand lag schwer auf meiner. »Ja, wahrscheinlich ist es nicht schlecht«, sagte er. »Doch wir müssen dich von Soldaten begleiten lassen. Und du musst Beatrice mitnehmen.«
Ich lächelte – das erste ehrliche Lächeln an diesem Tag. »Danke«, sagte ich, als der Wagen zum Palast zurückfuhr. »Danke, Vater. Danke.«
SIEBENUNDDREISSIG
Regen strömte in schmalen, sich windenden Rinnsalen über die Scheiben des Jeeps. Beatrice saß neben mir, ihre Hand lag auf meiner, vor uns erstreckte sich die dunkle Wildnis. Ich nahm alles in mir auf: die mit Efeu überwucherten Häuser, die Straße voller Schlaglöcher, die sich kilometerweit durch die Landschaft schlängelte und auf der hin und
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