Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden
für alle anderen war, meine Gefühle zu verstehen. Das war es, was mir von den Tagen nach seinem Tod am deutlichsten im Gedächtnis geblieben war – das obligatorische Wie geht es dir?, das mich durch die ganze Stadt verfolgte. Moss und Clara hatten mit klaren Absichten gefragt, aber selbst bei den einfachsten Erledigungen – dem Öffnen einer Tür, einem Einkauf im Einkaufszentrum des Palastes – hatten mich die Worte verfolgt und der unschuldigen, einfachen Frage mit jedem Mal mehr Gewicht verliehen. Jede Antwort, die ich gab, zog mich tiefer in die Trauer hinab und die kurzen, sinnentleerten Erwiderungen verstärkten das Gefühl der Einsamkeit in mir nur noch.
»Das kommt und geht ebenfalls«, sagte ich.
»Meine Mutter meint, heute Abend wüssten Sie Bescheid«, fuhr Clara fort. »Über den König.«
Sie hielt inne, um meine Antwort abzuwarten, doch ich schüttelte nur den Kopf. »Darüber kann ich nicht sprechen«, flüsterte ich und ließ den Blick über das Dach schweifen. Beide Soldaten waren aufgestanden und schirmten mit den Händen ihre Augen vor dem Sonnenlicht ab, während sie auf die Stadt hinabschauten. An den umliegenden Tischen erhoben sich einige Leute, um ebenfalls zu sehen, was sie sahen.
Ich folgte ihrem Blick über die Mauer. Im schwindenden Licht war es schwer auszumachen, aber einer von ihnen deutete auf einen Bereich voller sandbedeckter Gebäude. Das Funkgerät an seinem Gürtel knisterte. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass die Spitze des Stratosphere Towers die Farbe gewechselt hatte und die Nadel in einem roten, pulsierenden Licht erstrahlte.
Zwischen den Gebäuden bewegte sich etwas. Die Schatten am Boden veränderten sich, als Männer von einem Gebäude zum nächsten sprinteten. Sie konnten nicht weiter als achthundert Meter von der Stadt entfernt sein. Vielleicht weniger. Ich beugte mich vor und wollte gerade Clara auf das Geschehen aufmerksam machen, als die ersten Schüsse ertönten. Auf der anderen Seite der Mauer gab es eine Explosion und eine dicke, wabernde Wolke schwarzen Qualms stieg in die Luft.
Die Frau neben uns zeigte in Richtung der südlichen Außenbezirke. Gestalten huschten über die Straße, während sie die Gebäude nach Soldaten absuchten. Selbst von hier oben konnten wir ihre ausgestreckten Arme sehen und das Knallen von Gewehrschüssen hören, als sie sich schnell auf die Stadt zubewegten. »Sie sind innerhalb der Mauern«, sagte sie. »Sie sind ins Innere gelangt.«
»Das ist unmöglich«, entgegnete ein Mann hinter uns. Clara drehte sich zu mir um und sah mir fragend ins Gesicht. Ich wusste, was sie wissen wollte.
Gab es mehr Tunnel als den einen, an dem Caleb gearbeitet hat? Gab es entgegen der allgemeinen Annahme einen Weg, die Mauer zu überwinden? Ich nickte ein kaum wahrnehmbares Ja.
Ein Soldat eilte auf die andere Seite des Dachs und versperrte den Ausgang. Die Menschen im Restaurant waren auf unheimliche Weise still. Eine Frau war mitten in einer Unterhaltung erstarrt, die Lippen leicht geöffnet, eine Tasse in die Luft gehoben.
»Kann mir mal jemand helfen?«, sagte der Soldat und deutete auf die Servierwagen und Tische rund um den Ausgang. »Wir müssen die hier verrücken.«
Er zerrte einen Tisch vor die Tür zum Treppenhaus, womit er den einzigen Ausgang blockierte. Aber erst als der andere Soldat die Stimme erhob, gerieten die Menschen in Bewegung.
»Na los, Leute!«, brüllte er. »Seht ihr nicht, was passiert? Die Stadt wird angegriffen.«
NEUN
Eine Stunde verging. Die Luft roch nach Rauch. Von der Dachterrasse aus konnten wir Feuer sehen, das sich in den Außenbezirken hinter den alten Flugzeughangars ausbreitete.
Weitere Rebellen hatten es in die Stadt geschafft und kämpften nun Seite an Seite mit der Opposition, die sich im Inneren gebildet hatte. Von der Hauptstraße drangen Schreie zu uns herauf.
Ich hielt den Blick auf die Straßen unter mir gerichtet und sah zu, wie die Menschen in die Gebäude rannten. Einige versuchten, über die Straße zurück zu ihren Apartments zu gelangen. Entlang der Mauer waren Explosionen zu hören. Das Rat-tat-tat der Maschinengewehre war zu einem so konstanten Hintergrundgeräusch geworden, dass ich nicht mehr bei jedem Knall zusammenfuhr.
»Du hast gesagt, wir hätten noch Zeit«, flüsterte Clara. Ihre Hand umklammerte mein Handgelenk und ihre Finger gruben sich in meine Haut, während wir auf die Stadt hinausschauten.
»Ich dachte, das hätten wir.« Meine Stimme war merkwürdig ruhig. Die
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