Eve - Das brennende Leben
mittleren Stufe war und jahrelang nichts Wichtiges tat, konnte ich mir doch vorstellen, dass ich aufstieg. Zur Kommandantin, vielleicht, oder zum CEO. Oder zu einer Agentin.«
»Und weiterhin genauso hart arbeiten«, sagte Heci, »egal, wie sehr es dir an die Substanz geht.«
»Genau.«
Heci schlürfte an ihrem Drink, zog eine Grimasse und rührte erneut mit ihrem Strohhalm um. »Man muss unwahrscheinlich clever, einfallsreich und zäh sein, um so weit zu kommen.«
»Ja.«
»Also wann hat das angefangen, dass wir so im Arsch sind?«
Ralea, deren rotfleckige Blässe sich inzwischen wieder in
eine beinahe menschliche Farbgebung verwandelt hatte, konnte nicht anders, als schallend zu lachen. »Ich glaube, das sind wir gar nicht«, sagte sie. »Wir sind einfach nur konsequent den Weg weitergegangen, den wir immer gegangen sind.«
»Unaufhaltsam.«
»Ja.«
»Und wir denken einfach nie daran, dass diese Straße auch einmal ein Ende haben könnte«, sagte Heci traurig.
»Das hat sie nicht. Aber wir«, erwiderte Ralea. Sie dachte kurz nach und sprang dann ins kalte Wasser. »Ich hab mit Drogen angefangen.«
Ralea warf einen schnellen Blick auf Hecis Gesicht und erkannte, dass das keine große Neuigkeit war. Sie fuhr fort: »Zuerst machte es keinen Unterschied zu all dem Koffein und Zucker, die ich als Studentin eingenommen hatte. Als ich mehr leisten musste, suchte ich … na ja, gewissermaßen Werkzeuge, um das zu erreichen. Zum Teufel mit den Konsequenzen.«
Heci warf einen Blick auf ihren Gesundheitsdrink, seufzte und schaute ihre Freundin wieder an.
Ralea fuhr fort: »Ich trank meine erste Tasse Kaffee, als ich fünfzehn war und versuchte, zum Lernen wach zu bleiben. Ich fühlte mich dadurch nicht erwachsen. Meinen ersten Riegel Red Exile hab ich mit einundzwanzig gegessen. Damals wohnte ich in einer Raumstation, hatte ein halbes Jahr Berufserfahrung und ein Riesenprojekt am Hals. Ich fühlte mich dadurch nicht reifer oder sexy. Es hielt mich einfach wach und erlaubte mir zu funktionieren. Die ganze Zeit hatte ich nur mein Ziel im Sinn: Missionsagentin. Die Spitze der Gesellschaftsleiter erklimmen. Die Leute sagen, dass es dabei nur um Verwaltung und Befehlsausgabe geht, aber das stimmt nicht, denn dann hätte man es nur mit Politik und glücklichen Umständen zu tun. Agenten sind wichtig. Agenten schaffen es nur, weil sie selbst etwas darstellen und niemand es wagt, uns anzurühren.«
»Komm, lass uns ein wenig Luft schnappen«, sagte Heci. Sie standen auf und gingen zum Rand der Terrasse. Raleas Körper schmerzte immer noch, als ob sie ausgewrungen worden wäre, aber sie war froh, Bewegung zu haben. Der Westwind wurde immer beruhigender. Es tat gut, irgendwohin zu gehen – wenn auch nur für kurze Zeit.
»Wann hast du die Kontrolle verloren?«, fragte Heci. Ihre Drinks hatten sie auf der Brüstung abgestellt.
Ralea dachte darüber nach. »Als ich Agentin wurde. Als ich den Papierkram meiner ersten Tötungsmission vor mir sah.« Sie sah Heci an. »Ich weiß, wir reden nicht darüber. Niemand redet darüber. Aber diese Leute waren tot. Ich hatte sie getötet. «
»Du hast niemanden getötet. Wir gehen das während der Ausbildung durch und dann noch einmal während der Wiedereingliederung«, sagte Heci in beruhigendem Ton. »Jedem wachsen ein paar graue Haare deshalb, aber wir sind keine schlechten Menschen.«
»Das erste Mal wurde es mir so richtig bewusst eine Woche, nachdem ich den Job angetreten hatte. Da übernahm der besessene Teil meiner Persönlichkeit die Kontrolle und brachte mich dazu, mir eine komplette Liste der Verstorbenen anzuschauen. Nicht die Kurzzusammenfassung, die sie uns schicken und die man mal eben mit Fracht, Nutztieren und Metallresten bei den Bergungsdaten absegnet. Nein, die ausführliche Namensliste. Ich musste ein wenig bohren, weil sie eigentlich nicht wollen, dass du das machst, aber nachdem ich die Namen erst einmal freigeschaltet hatte, entdeckte ich, wie man diese Leute in unseren Datenbanken aufspüren kann.«
»Das«, sagte Heci, »war keine gute Idee.«
»Es war eine verflucht beschissene Idee von einer verflucht beschissenen Klugscheißerfrau, die dachte, dass es ihr besser geht, wenn sie den Fakten ins Auge sieht.«
»Wie lange bist du damit klargekommen?«
Raleas Antwort ließ auf sich warten. Schließlich sagte sie mit gedämpfter Stimme: »Ich bin nach dem fünften oder sechsten Gesicht, das mich von dem leblosen Bildschirm anstarrte, heulend
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