Everlasting

sicherzustellen, dass das Spiel auch wirklich ungefährlich ist. Kurz gesagt, wir würden uns freuen, wenn Sie mitmachten.»
    Finn war sprachlos, so überrascht war er von dem Angebot. Es kam schon mal vor, dass Historiker gebeten wurden, Spielentwickler zu beraten, aber so etwas war bisher eindeutig nicht in sein Fachgebiet gefallen, und er hatte sich nie dafür interessiert. Die meisten Virtual-Reality-Spiele hatten nichts mit seriöser Wissenschaft zu tun, und er war ein seriöser Wissenschaftler.
    «Uns ist klar», sagte Sriwanichpoom, «dass Sie keinerlei berufliche Erfahrung mit der Beratung von Spielentwicklern haben, aber Sie werden doch wohl schon mal Freude an einem anspruchsvollen Spiel gehabt haben, oder? ‹Komm mit› zum Beispiel?»
    Woher wusste Doc-Doc, welche Spiele er schon einmal gespielt hatte? Hatte der Direktor sich unerlaubten Zugang zu seinen B B-Akten verschafft? «Ja schon. Dieser Mann kennt ein paar Spiele. Natürlich», stammelte Finn. «Aber   –»
    «Warum so zögerlich?» Der Direktor tauchte seinen Löffel in eine cremige Schokoladenmousse.
    Zögern war das falsche Wort. Finn spürte plötzlich etwas ganz anderes. Es war ein tiefsitzendes Gefühl von   … Angst. Woher kam das? Lag es an seinem Nahtoderlebnis mit dem Dark-Winter-Spiel «Death Triumphs»? Oder lag es an Sriwanichpoom selbst, der irgendwie bedrohlich wirkte?
    «Dieser Historiker ist kein erfahrener und schon gar kein ehrgeiziger Spieler von Virtual-Reality-Spielen», begann Finn diplomatisch. «An diesen Spielen mochte er bisher am liebsten die Beenden-Funktion.» Er lächelte, um seine Angst zu überspielen.
    «Erfahrung und Ehrgeiz sind für unser neues Spiel völlig unnötig», entgegnete der Direktor. «Ist das Ihre einzige Sorge?»
    «Von Sorge kann keine Rede sein», protestierte Finn, der natürlich besorgt war. «Dieser Spieler findet keinen Gefallen an Spielen, in denen Unschuldige nur so zum Spaß erschossen oder aufgeschlitzt oder in die Luft gejagt werden.»
    Sriwanichpooms Löffel landete mit einem Klirren auf dem Teller. «Es geht hier um Edutainment! – Finn Nordstrom, Sie haben Fähigkeiten und Stärken, die wir schon seit einer ganzen Weile beobachten. Es ist nämlich so, dass eines der Spiele im Berlin der Jahrtausendwende angesiedelt ist. Es endet unmittelbar vor dem Zeitalter des Dark Winter, also 2018.   Ihre ausgezeichnete Übersetzung des Tagebuchs dieses jungen Mädchens hat uns gezeigt, dass Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten diesem Spiel sehr zuträglich sein würden. Mit Ihrer Hilfe wird es ein hervorragendes Lernmittel werden.»
    Sriwanichpoom ist ein echter Machiavelli, dachte Finn, jetzt fühlte er sich doch tatsächlich geschmeichelt. Drei Jahre lang war er von seinen Vorgesetzten übergangen und unterschätzt worden. Jetzt endlich nahm man von ihm Notiz. «Dieser Historiker hätte gern mehr Informationen», sagte er zögernd.
    «Dann sollen Sie Informationen bekommen!» Doc-Doc lächelte breit mit seinen großen, spitzen Zähnen und nahm einen weiteren Löffel von der Schokoladenmousse. «Mm – interessant. Wollen Sie wirklich nicht probieren? Henriette kann Ihnen eine kleine Portion bringen.»
    «Nein, wirklich nicht. Dieser Tischgenosse ist absolut zufrieden», sagte Finn, köpfte mit seinem Löffel das
Savarin Chantilly
und schluckte es hinunter, um zu demonstrieren, wie absolut zufrieden er war.
    «Das neue Spiel heißt ‹Auf der Suche nach der verlorenen Zeit›», sagte Sriwanichpoom.
    «Nach Proust.»
    «Ja, nach Proust», sagte der Direktor anerkennend. «Kurz: ‹Projekt Zeit›.»
    «Und die virtuelle Arena?», fragte Finn.
    «Hauptsächlich Berlin, aber auch ein Stück von der deutschen Ostseeküste. Die Jahre 2000 bis 2018.   Man spielt in chronologischer Reihenfolge. Absolute Immersion.»
    «Die meisten Spiele versprechen eine vollständige Immersion.»
    «Dieses Spiel werden Sie nicht von der Realität unterscheiden können. Sie werden vollkommen in alle Geschehnisse eingebunden. Dennoch werden Sie immer wissen, wer sie sind.»
    Nicht schlecht – denn Finns Problem mit den meisten Spielen war, dass sie sich eben wie Spiele anfühlten, sobaldman die Regeln gelernt und das Wesentliche erfasst hatte. Irgendwann stieß man auf eine unsichtbare Wand, dort wurde man desynchronisiert und zum letzten Checkpoint zurückgeschickt. Bei einigen dieser Spiele wirkten die Gefahren tatsächlich ziemlich real, aber der Hintergrund blieb stets irgendwie verschwommen, grau oder