Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
die Augen und schüttele den Kopf, da ich es die Hälfte der Zeit selbst kaum fassen kann. »Jedenfalls kann ich jetzt nicht darauf eingehen, aber glaub mir einfach, wenn ich sage, dass wenn du auch nur einen Bruchteil von dem wüsstest, was sich wirklich abspielt, tja, dann würdest du mir dafür danken, dass ich dich da nicht mit hineinziehe. Und auch wenn es mir ehrlich leidtut, dass du das Gefühl hast, ich würde dich ignorieren und mich nicht mehr für dich interessieren – es stimmt überhaupt nicht. Ehrlich, nicht im Geringsten. Du bist so ziemlich der einzige wahre Freund, den ich momentan noch habe. Und ich will es wirklich wiedergutmachen, und das tue ich auch. Bald. Ganz bestimmt. Aber im Moment bin ich eben … ich bin eben ein bisschen … beschäftigt, weiter nichts.«
»Und was ist mit Damen? Machst du es bei ihm auch wieder gut?«
Ich sehe ihn an und versuche nicht einmal, meinen
Schock zu verbergen. Ich kann echt nicht glauben, dass er mich ernsthaft damit konfrontiert.
»Bitte bild dir nicht ein, dass du mehr wüsstest, als tatsächlich der Fall ist«, sage ich ein bisschen barscher als beabsichtigt. »Es steckt wesentlich mehr dahinter. Dinge, die du nicht begreifst. Nichts ist auch nur annähernd so einfach, wie es an der Oberfläche scheint, und glaub mir, das hier geht noch weit darüber hinaus – die Wurzeln reichen verflixt tief.«
Er blickt zu Boden, bohrt mit der Schuhspitze im Teppich und scheint einen Moment lang zu überlegen, was der richtige Weg ist, mich zur Rede zu stellen, ehe er den Kopf wieder hebt und mir direkt in die Augen sieht. »Und hat irgendetwas von diesen Dingen, die ich offensichtlich nicht verstehen kann, eventuell irgendetwas damit zu tun, dass du …?«
Ich erwidere seinen Blick, erstarre und kann nicht mehr atmen. Das Wort rast mir entgegen und kracht mitten in mein Energiefeld, bevor es auch nur über seine Lippen tritt.
Und ich kann nichts dagegen tun, kann weder zurückspulen noch ihn sonst wie daran hindern, dass er sagt: »Dass du unsterblich bist?«
Er sieht mich durchdringend an, und ganz egal, wie sehr ich auch möchte, ich kann den Blick nicht abwenden.
Mir läuft ein kalter Schauer über die Haut, als er weiterredet. »Oder ist es die Tatsache, dass du hellsehen kannst? Mit allen möglichen mentalen und körperlichen Talenten begabt bist? Vielleicht ist es aber auch die Tatsache, dass du für immer jung und schön bleiben wirst. Dass du nie alterst, nie stirbst, genau wie dein Begleiter Damen, der jetzt schon über sechshundert Jahre unterwegs ist und erst kürzlich beschlossen hat, dich zu einem Wesen wie er selbst zu
verwandeln?« Seine Augen werden schmal, und er mustert mein Gesicht. »Sag’s mir, Ever, bin ich auf der richtigen Spur? Sind das die Dinge, die du gemeint hast?«
»Wie hast du …«, beginne ich.
Doch meine Worte werden von seiner Stimme übertönt, als er fortfährt. »Ach, und nicht zu vergessen Drina , die, wie sich herausgestellt hat, ebenfalls unsterblich war. Und dann war da natürlich noch Roman. Ganz zu schweigen von Marco, Misa und Rafe – die drei etwas ätzenden Anhängsel, mit denen sich Haven aus unerfindlichen Gründen umgeben hat. Und, nicht zu fassen, dass ich es beinahe zu erwähnen vergessen hätte – unsere liebe Freundin Haven höchstpersönlich. Oder sollte ich sagen: meine liebe Freundin und deine frischgebackene unsterbliche Feindin – obwohl du sie aus eigenem Antrieb dazu gemacht hast? Sind das die Dinge, die ich nicht mal ansatzweise verstehen kann?«
Ich weiß nichts zu entgegnen. Mir fällt nichts anderes ein, als dazusitzen und ins Leere zu starren. Und obwohl es mich erschüttert, alles so auf dem Präsentierteller serviert zu kriegen – die gesammelten Fakten meines überaus sonderbaren Lebens auf so neutrale, so normale Weise enthüllt zu bekommen, dass es selbst mir nahezu unwirklich erscheint, bin ich doch irgendwie auch ein bisschen erleichtert.
Ich schleppe dieses Geheimnis schon so lange mit mir herum, dass mir einfach zwangsläufig froher zu Mute ist – als wäre ich endlich von einer Last befreit worden, die viel zu schwer war, um sie allein zu tragen.
Doch Miles ist noch nicht fertig. Er hat gerade erst angefangen. Also setze ich mich aufrecht hin, konzentriere mich erneut auf seine Worte und muss kämpfen, um ihm folgen zu können, als er sagt: »Und der Witz daran ist, wenn du mal wirklich richtig logisch und systematisch darüber
nachdenkst, also, dann liegt ja wohl auf der
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