Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
genug, um zu schweigen. Ich bin noch lange nicht mit ihr fertig und habe noch etliche Hühnchen mit ihr zu rupfen.
»Ganz zu schweigen davon, wie du versucht hast, mir meinen Freund vor der Nase wegzuschnappen – mehr als einmal.« Ich sehe sie aus schmalen Augen an, ohne jede Gnade. »Aber tun wir bloß nicht so, als wäre ich die Einzige, die du gequält hast, denn wir wissen ja wohl beide, dass das nicht stimmt. So ziemlich jeder, den du als schwächer oder dir sonst irgendwie unterlegen betrachtet oder auch als Bedrohung für dich empfunden hast, war in deinen Augen ein Opfer. Du hast ja nicht mal vor deiner angeblich besten Freundin Halt gemacht.« Sie sieht mich mit gerümpfter Nase und schmalen Augen an, sodass ich mich genötigt sehe, ihrer Erinnerung nachzuhelfen. »Ähm, hal-lo – Honor?« Ich frage mich, ob ich hier womöglich nur meine Zeit verschwende, ob es überhaupt möglich ist, zu einer so eitlen, selbstsüchtigen und emotional unterentwickelten Person wie ihr durchzudringen. »Was glaubst
du, warum sie sich gegen dich gewandt hat? Glaubst du, das ist alles Havens Schuld? Denk noch mal nach. Sie hat das jetzt schon seit geraumer Zeit geplant, vor allem weil du sie behandelt hast wie den letzten Dreck – so wie du eben jeden behandelst. Aber auch weil du sogar versucht hast, ihr ihren Freund wegzunehmen, und soweit ich gehört habe, war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.«
Sie kämmt sich mit den Fingern das Haar und streicht es so zurecht, dass es zum Teil ihr Gesicht bedeckt. Sie will mich auf keinen Fall ansehen, und sie will auch nicht, dass ich sie ansehe, aber zumindest versucht sie nicht, etwas abzustreiten, von dem wir beide wissen, dass es wahr ist.
»Aber ich habe auch gehört, dass du dabei ungefähr so erfolgreich warst wie bei deinem Versuch, dir Damen zu schnappen. Und obwohl dein Benehmen so absolut grausam und berechnend und völlig unangebracht ist, helfe ich dir trotzdem dabei, deine alte Stellung zurückzuerobern.«
Sie sucht mein Gesicht ab, um zu entscheiden, ob das wirklich wahr ist, und sowie ich es bestätigt habe, widmet sie sich wieder dem intensiven Studium ihrer Knie.
»Und das nicht, weil ich dich mag – denn das tue ich nicht –, und auch nicht, weil ich glaube, dass du es verdient hast – ich weiß nämlich definitiv, dass das nicht der Fall ist –, sondern nur deshalb, weil das, was Haven tut, noch schlimmer ist als das, was du getan hast. Und da ich nicht daran interessiert bin, hier an der Schule die Bienenkönigin zu werden, habe ich beschlossen, diese Position an dich zurückzugeben. Allerdings sind, wie gesagt, ein paar Bedingungen damit verknüpft. Die Hauptbedingung ist, dass du dir ab jetzt, von diesem Moment an, eine andere Methode suchen musst, um dich gut zu fühlen. Du musst aufhören, alle anderen niederzumachen, nur damit du dir größer und
besser vorkommst, weil das so ziemlich das Mieseste und Billigste ist, was man tun kann. Und wenn die Erfahrung, die du gemacht hast, diese Umkehrung deines gesellschaftlichen Erfolgs, dich das nicht gelehrt hat, dann weiß ich nicht, was dich dann noch belehren kann. Ich meine, jetzt, da du erlebt hast, wie es ist, auf der anderen Seite zu stehen, jetzt, da du aus erster Hand weißt, was für ein Gefühl es ist, ausgestoßen zu sein und so schlecht behandelt zu werden, wie du früher alle anderen behandelt hast, kann ich mir nicht vorstellen, dass du das wirklich noch einmal irgendjemandem antun willst. Aber vielleicht ja doch. Bei dir kann man nie wissen.«
Sie sitzt einfach nur weiter da, mit hängenden Schultern. Ihr Kopf wippt auf und ab, während sie die Spitzen ihrer teuren Designer-Sandalen aneinander tippt, der einzige Hinweis darauf, dass sie zuhört, dass sie mich ernst nimmt, und das ist alles, was ich brauche, um fortzufahren.
»Es ist doch so: Du bist hübsch und intelligent, und du besitzt sämtliche Vorzüge, die man sich in dieser Welt nur wünschen kann, und eigentlich sollte das allein genügen, damit du dich gut fühlst. Also könntest du vielleicht, statt dich weiter wie eine gierige Göre aufzuführen und dir alles zusammenzuklauen, was du haben willst, versuchen, einen Weg zu finden, deine Gaben dafür einzusetzen, einen guten Einfluss auf andere auszuüben. Du magst das für abgedroschen halten, du magst mich albern finden, aber das ist trotzdem mein voller Ernst. Wenn du wieder der Rockstar dieser Schule sein willst, dann wirst du genau das tun.
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