Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
Januar? Um acht Uhr abends?« Er nickte. »Und wo?«
»Im Stadtzentrum. Vertrau mir, es ist eine kleine Stadt, wir können uns gar nicht verfehlen.« Er legte mir eine Hand auf die Wange und sagte: »Ich liebe dich.«
Ich nickte, aber mein Hals war wie zugeschnürt, und ich konnte nicht antworten.
Lucas zog mich näher und küsste mich auf die Stirn. »Hey. Du wirst doch jetzt nicht weinen!«
»Werde ich nicht.« Ich atmete seinen Duft ein. Wenn ich Lucas doch nur immer bei mir haben könnte, immer und für alle Zeiten, sodass er nie weiter von mir entfernt wäre als eben jetzt. »Wo auch immer du am Weihnachtsmorgen sein wirst: Denk an mich. Und ich werde an dich denken.« Wir küssten uns sanft, ehe ich widerwillig die Tür öffnete und ausstieg.
Auf dem Heimweg sprachen Balthazar und ich kaum miteinander, bis wir die Evernight-Akademie beinahe erreicht hatten. Es war eigentlich keine ungemütliche Stille; ich hing meinen eigenen Gedanken nach, und ich konnte sehen, dass es Balthazar nicht anders ging. Schließlich unternahm ich aber doch einen Versuch: »Hast du viel herausgefunden? Ich meine, aus Lucas’ Aufzeichnungen?«
»Nicht mal annähernd genug. Aber ich weiß, dass Charity immer wieder in die Städte hier in der Gegend kommt - alles Orte, an die sie sich noch erinnert. So etwas macht sie manchmal, aber es tut ihr nie gut. Es ist, als ob sie diese Plätze hasst, weil sie sich verändern, während sie gleichbleibt.«
»Dann wirst du sie hier doch finden können.« Ich rieb meine Hände aneinander, die von der winterlichen Kälte ganz kalt geworden waren. »Du kannst doch bestimmt rauskriegen, wo sie steckt.«
Balthazar löste den Blick nicht von der Straße, während er die Autoheizung anstellte. »Ich kann die Möglichkeiten, wo sie stecken könnte, auf jeden Fall einschränken. Aber es gibt kein erkennbares Muster, doch das ist nichts Neues bei Charity.«
»Trotzdem weißt du wenigstens, wo du anfangen kannst.«
»Immer schön das Positive sehen, ich weiß.« Unwillkürlich hoben sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln. »Ja. Ich kann irgendwo anfangen.«
Wir bogen auf den Parkplatz ganz am Rande des Schulgeländes ein, und ich öffnete die Beifahrertür, um auszusteigen, doch Balthazar blieb einfach sitzen. Ich zögerte. »Danke«, sagte ich dann. »Für heute Nacht. Es hat mir viel bedeutet.«
Balthazar hob eine Hand an mein Gesicht. Er berührte mich nicht, aber seine Fingerspitzen waren ganz nah an meinem Mund. »Deine Lippen sind geschwollen.«
»Hm?« Jetzt, wo er es sagte, merkte ich, dass mein Mund sich dick und wund anfühlte. Und mir dämmerte, dass das von Lucas’ und meinen hungrigen Küssen stammen musste. »Oh. Sieht es … Sieht es zu …«
»Es ist schon in Ordnung«, sagte Balthazar leichthin. Seine Augen aber sahen bedrückt aus. »Jeder, dem es auffällt, wird glauben, dass du mich geküsst hast.«
Mir blieb nicht viel Zeit, über Lucas und mich nachzugrübeln. Die Woche mit den Abschlussprüfungen näherte sich, und Berge von Aufgaben und Prüfungen erforderten all meine Aufmerksamkeit. Und in gewisser Weise war es fast tröstlich, sich in die Schularbeiten zu vergraben.
Meine düstere Stimmung jedoch blieb, ganz gleich, wie viele Aufsätze ich für Mrs. Bethany schrieb und wie viele Übungsklausuren in Differentialrechnung ich löste. Aber es fiel niemandem auf, denn so ziemlich jeder in der Schule war angespannt. Auch wenn das Fenster in der Großen Halle ersetzt worden war - wieder mit klarem, nicht mit getöntem Glas -, blieb dieser Ort leer, selbst an regnerischen Tagen, wenn die einzige Alternative unsere beengten Schlafräume waren. Gerüchte breiteten sich aus und wurden von Tag zu Tag abstruser.
»Ich habe gehört, dass der Spuk ein Teil eines Voodoo-Zaubers ist«, verkündete Courtney eines Tages unter ihrer Dusche hervor. Ich wusch mir gerade einige Kabinen weiter die Haare. »Voodoo ist voll und ganz real, und irgendein Versager aus dem letzten Jahr, der sich hier abgemeldet hat, will jetzt diesen Ort zerstören, indem er die beste Party des ganzen Jahres für alle Leute, die wirklich cool sind, sprengt.«
Wie gerne hätte ich Courtney gesagt, für wie bescheuert ich sie hielt, aber ich konnte ihr einfach keine bessere Erklärung für die Ereignisse anbieten.
Dann brach die Prüfungswoche an, und die Anspannung war auf dem Höhepunkt, als mir etwas Seltsames an den Ängsten der Schüler hinsichtlich der Geister auffiel. Etwas, das ich nicht
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