Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung

Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung

Titel: Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
Vom Netzwerk:
gefunden. Mir war klar, dass er sich verfluchte, weil er Evernight nicht häufiger verlassen hatte, als es noch möglich war, und ich versuchte mein Bestes, ihn aufzumuntern. Am Abend vor Weihnachten saßen wir im Raum für Moderne Technologien rum, und ich half ihm bei seiner Januaraufgabe auf die Sprünge.
    »Du musst schneller werden«, sagte ich.
    »Es dauert eben, bis ich herausgefunden habe, was die Pfeile zu bedeuten haben«, protestierte Balthazar, der sich steif durch die Schritte des Anfängerlevels von Dance Dance Revolution mühte.
    »Du musst das so verinnerlichen, dass dein Körper in der gleichen Sekunde weiß, was zu tun ist, wie dein Auge die Pfeile sieht. Dein Gehirn solltest du ganz aus dem Spiel lassen.« Ich setzte mich im Schneidersitz auf den Fußboden neben die Matte, die zu dem Spiel gehörte, und beobachtete ihn mit leiser Verzweiflung. »Du bist doch ein guter Tänzer, Balthazar. Wie kann es bloß sein, dass du dich hierbei so schwertust?«
    »Das hat nichts mit Tanzen zu tun. Heutzutage ist es nichts anderes mehr als … rhythmisches Zucken.«
    »Tja, du solltest dich besser daran gewöhnen, denn bei diesem Spiel gibt es keine Foxtrott-Einstellung.«
    Balthazar warf mir einen giftigen Blick zu, aber ich konnte Belustigung in seinen Augen blitzen sehen. Er ließ mich ebenfalls eine Runde spielen, und ich trug ganz eindeutig den Sieg davon.
    Später stiegen wir gemeinsam die Treppe zur Wohnung meiner Eltern empor, in der ich die Winterferien verbrachte. Als meine Mutter die Tür öffnete, wehte uns der Duft von Zimt und Apfel entgegen und hieß uns willkommen. »Wird ja auch Zeit, dass ihr kommt.« Sie drückte Balthazar die Schulter, dann gab sie mir einen Kuss auf die Wange. »Wir haben auf euch beide gewartet.«
    »Seht euch diesen Baum an.« Balthazar grinste die zwei Meter hohe Tanne an, die meine Eltern in einer Ecke aufgestellt hatten. Sie war mit Lametta und den krummen und schiefen Sternen aus Pappe und Pfeifenreinigern behängt, die ich vor Jahren gebastelt hatte. Der Baum sah angemessen festlich aus, unterschied sich in meinen Augen jedoch nicht von dem an jedem anderen Weihnachtsfest zuvor. Balthazar war wesentlich beeindruckter als ich. »Es ist lange her, dass ich unter einem Baum Geschenke aufgemacht habe.«
    »War das letzte Mal, als du noch lebendig warst?«, fragte ich.
    »Damals gab es noch keine Weihnachtsbäume«, erklärte er, während Mom ihm aus der Jacke half. »Das war eine deutsche Tradition, die sich erst … tja, vielleicht vor zweihundert Jahren weltweit ausgebreitet hat, und da war ich schon tot. Aber es ist ein schöner Brauch. Ich denke, der wird sich halten.«
    »Glaube ich auch.« Dad war in der Küchentür aufgetaucht, und die Schürze, die er sich um die Taille gebunden hatte, war vielversprechend mit Schokolade verschmiert. »Ich bin nur froh, dass niemand sie mehr mit Kerzen schmückt.«
    »Mit echten Kerzen? Mit richtiger Flamme und so?« Ich konnte es nicht glauben.
    Mom schauderte gespielt. »Richtige Flammen in der Nähe von richtigen Bäumen, die rasch austrocknen. Man sollte nicht glauben, wie gefährlich Weihnachten mal war.«
    Wir machten es uns für einen behaglichen Abend bequem. Die Schokolade auf der Schürze meines Vaters erwies sich als Kuvertüre für einen Kuchen, den er mir zuliebe gebacken hatte. Wir tranken Glühwein aus Bechern und Blut aus Gläsern, was ein Weihnachtsritual für uns war. Zum ersten Mal in meinem Leben kam mir diese Mischung seltsam vor, aber da Mom, Dad und Balthazar das Beisammensein so genossen, grübelte ich nicht lange darüber nach. Dads Stereoanlage dudelte Weihnachtsmusik, und das sonderbare Knistern, das nur alten Schallplatten zu eigen ist, war angenehm vertraut. Eine Zeit lang vergaß ich meine schwermütige Stimmung.
    Später dann kniete sich Balthazar unter den Baum und inspizierte die Päckchen. Er hatte mir bereits gesagt, dass er mein Geschenk am nächsten Tag mitbringen würde. Ich hatte ihm einen Pullover gekauft, was vielleicht nicht die tollste Überraschung aller Zeiten war, aber er brauchte einfach etwas angesagtere Kleidung. Außerdem hatte mich das warme Holzbraun der Wolle auf eine Art und Weise an ihn erinnert, die schwer zu beschreiben war. Doch als Balthazar nach dem ersten Päckchen griff, auf dem sein Name stand, runzelte ich die Stirn, denn es stammte nicht von mir.
    »Warte eine Sekunde«, sagte er. »Da unten sind noch welche für mich, gleich ein paar. Bianca, du hast doch wohl nicht

Weitere Kostenlose Bücher