Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Es dauerte noch mindestens eine halbe Stunde, ehe der Film anfing, doch es hatten sich schon jetzt etliche Leute einen Platz gesucht. Die meisten schauten ungeduldig zum Eingang, wo ich dabei war, mich zu materialisieren, doch sie blickten durch mich hindurch, weil sie nach anderen Ausschau hielten.
Und dann traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Ich kannte einige von ihnen – unter anderem Kate in der vordersten Reihe.
Das Schwarze Kreuz!
Ich spürte Entsetzen in mir aufsteigen, das so übermächtig war, dass ich glaubte, ich hätte mich in Eis verwandelt. Sie haben herausgefunden, wohin Lucas sich zurückgezogen hat, nachdem er zum Vampir geworden ist, und sie haben sich von damals, als Lucas Evernight für sie ausgespäht hat, an die Riverton-Ausflüge erinnert . Dieses Mal hatte Kate nicht nur eine Handvoll Leute mitgebracht wie in Philadelphia. Dieses Mal saß da ein kompletter Jagdtrupp des Schwarzen Kreuzes.
Sie haben diesen Ort vorbereitet. Sie liegen hier auf der Lauer und warten darauf, ihn zu töten.
Ich schoss hinaus in den Vorraum. Zwar merkte ich, dass sich eine der Glastüren mit Eis überzog, aber ich kümmerte mich nicht darum. Das Schwarze Kreuz war nicht auf der Suche nach mir . Wenn ich Lucas nicht mehr rechtzeitig warnen konnte, dann würden sie sich auf ihn stürzen, sobald er das Kino betreten hatte. Selbst seine Stärke und seine Kampferfahrung würden ihn nicht gegen ein Dutzend Vampirjäger schützen.
Als ich die Straße hinab in Richtung Marktplatz in der Mitte der Stadt eilte, bemerkte ich außerdem, dass die Gruppe im Kino keineswegs die einzige war. Dort, an einem Tisch im Schnellimbiss, saß Eliza Pang, die Anführerin der New Yorker Zelle des Schwarzen Kreuzes, und ließ eine Tüte Pommes vor sich kalt werden. Und was das Schlimmste war: In einer schmalen Gasse in der Nähe des Marktplatzes lauerten Raquel und Dana.
Der Riverton-Bus fuhr vor, und die Schüler kamen herausgehüpft. Ich hatte nur Augen für Lucas und ließ die anderen links liegen, die lachend und plaudernd an mir vorbeiströmten, ohne eine Ahnung davon zu haben, dass ich dort war.
Lucas stieg als einer der Letzten aus dem Bus. Er sah arg mitgenommen aus und wirkte ziemlich schwach auf den Beinen. Das fließende Wasser musste ihm schwer zu schaffen gemacht haben. »Alles okay, Kumpel?«, fragte der Fahrer.
»Alles in Ordnung. Ich werde zusehen, dass ich schnell einen Kaffee bekomme, der wird mir helfen«, sagte Lucas. Was er eigentlich meinte, war die Hoffnung, sich in irgendein Café setzen zu können, wo er einen Moment lang seine Ruhe vor den anderen hatte. Er glaubte, dass ich mich im Kino zu ihm gesellen würde, und er wollte nicht, dass ich ihn so angeschlagen zu sehen bekam.
Es ist ganz egal. Hauptsache, du gehst irgendwo ohne die anderen hin, damit ich dich warnen kann . Ich hatte keine Jäger vom Schwarzen Kreuz in dem Café gesehen, aber das hieß nicht, dass da nicht auch einige warteten, die ich nicht wiedererkannt hatte. Schnell rauschte ich an Lucas’ Seite, denn ich hoffte, ich würde ihm etwas ins Ohr flüstern können, ehe er eintrat.
Und dann blieb ich einfach stecken. Wurde blind. Verlor die Orientierung.
Im Bruchteil einer Sekunde wurde ich unfähig, mich vorwärtszubewegen oder nach hinten, nach unten – irgendwohin. Eine Falle , dachte ich voller Panik und erinnerte mich an das unheimliche Kästchen in Evernight. Aber dies hier war anders. Anstelle eines gleichmäßigen, unbeirrbaren Sogs wurde ich einfach an einer Stelle festgehalten. Es war wie der Unterschied zwischen einem Versinken im Treibsand und einem Steckenbleiben im Fahrstuhl. Nun ja, einem Fahrstuhl, bei dem die Lichter ausgegangen waren.
War das Schwarze Kreuz dafür verantwortlich? Waren sie hinter uns beiden her? Was passierte hier? Ich konnte an nichts anderes denken als daran, dass mich dieses Gefängnis – was auch immer es sein mochte – davon abhielt, Lucas vor der entsetzlichen Gefahr zu warnen, in der er schwebte.
Dann sah ich einen einzelnen, glänzenden Kreis um mich herum, der sich vor mir öffnete und der schimmerte wie ein Teich im Mondlicht. Vorsichtig spähte ich hinaus – und sah in das völlig schockierte Gesicht meiner Fängerin.
»Bianca?«
»Patrice?«
9
»Bianca?« Patrice sah genauso erstaunt aus, wie ich mich fühlte. Ihr Gesicht schien den gesamten Himmel und die Decke – oder was auch immer ich an diesem schwarzen, gestaltlosen Ort sah – auszufüllen. »Du bist … ein Geist
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