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Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Titel: Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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Borke absprangen. Auf beiden Seiten des Stammes gab es abgeplatzte, bloßgelegte Stellen, an denen das Holz gesplittert war und die von Blut glänzten. Ich reagierte entsetzt, weil Lucas die Haut an seinen eigenen Händen so verletzt hatte, dass an einem Finger schon ein Stückchen Knochen hervorragte. Der Schmerz, den er bei jedem Hieb empfand, musste unbeschreiblich sein, und doch machte er erbarmungslos und unermüdlich weiter.
    »Lucas!« Ich rannte an seine Seite und griff nach einem seiner Arme. »Tu dir das nicht an.«
    Er hörte auf, sah mich jedoch nicht an. Seine Haut war schweißnass, sodass sein Unterhemd an ihm klebte und sein Gesicht im Mondlicht glänzte. Lucas starrte den Baum an, als ob er ihn hassen würde. »Ich wollte sie töten.«
    »Sie ist deine Mutter«, sagte ich. »Sie hat dich verraten, schlimmer, als man es sich träumen lassen würde … Es ist in Ordnung, wenn du wütend bist.«
    »Und nicht nur sie. Ich wollte auch Dana und Raquel töten, während sie versuchten, mich vor meinem Schicksal zu bewahren. Auch Skye wollte ich während der ganzen Zeit, als ich sie rettete, in Wahrheit umbringen. Jetzt im Rückblick bin ich nicht stolz, und ich fühle mich auch nicht stark. Ich bin einfach nur so wütend auf mich selbst, dass ich sie nicht getötet und von ihrem Blut getrunken habe, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Ich hasse mich dafür, und ich … Verdammt noch mal. Verdammt noch mal.«
    Wieder ließ Lucas seine Hand gegen den Baum donnern, und zwar mit einer derartigen Wut, die mich erkennen ließ, dass er niemand anderen vor Augen hatte als sich selbst.
    »Bitte tu das nicht.« Ich legte ihm meine Hände auf die Arme, dann hob ich seine Hand, die mittlerweile gebrochen war, sodass ich sie mir anschauen konnte. Sie war schlimm verletzt, und ich sah nur Knochen, Sehnen und Blut, als hätte Lucas einen schlimmen Unfall gehabt. »Es tut mir weh, wenn ich das mit anschauen muss.«
    »Ich habe versucht, meine Hand immer schlimmer und schlimmer zuzurichten, damit sie nicht mehr heilen kann«, erklärte er. »Aber sie heilt trotzdem. Ich kann spüren, wie sich die Knochen wieder miteinander verbinden, selbst wenn ich zur gleichen Zeit andere breche. Alles wird wieder so, wie es war. Ich kann mir keinen Schaden zufügen. Ich kann nicht entkommen. Es gibt keinen Ausweg.«
    Er hatte recht. Ich konnte nicht mit ihm streiten. Stattdessen nahm ich ihn in die Arme und drückte ihn fest an mich.
    Nach einem Moment des Zögerns erwiderte Lucas meine Umarmung. Er schauderte, als fiele in diesem Augenblick der Wahnsinn von ihm ab.
    Ich wusste, dass diese Ruhe nicht bleiben würde. Wenn das die einzige Hilfe war, die ich ihm anbieten konnte, dann wollte ich sie ihm geben. Ich schloss die Augen und hoffte, dass am Ende die Liebe tatsächlich über den Tod triumphieren würde.

10

    Nach dieser Nacht in Riverton wurde Lucas stiller. Härter. Er kümmerte sich auch weiterhin um mich und versuchte, sich etwas Nettes für uns beide einfallen zu lassen. Aber für mich war es immer offensichtlicher – und für ihn zweifellos auch –, dass er um seine eigene mentale Ausgeglichenheit kämpfte, und dabei konnte ich ihm nur wenig helfen.
    Wann immer er einen guten Tag oder manchmal auch zwei in Folge hatte, geschah stets irgendetwas, das ihn wieder zurückwarf.
    Einige Tage nach dem Vorfall im Wald schlich ich mich in Lucas’ Mathestunde, die ich normalerweise mied. Ich hatte den Kurs schon im Vorjahr besucht, und ein Mal war definitiv genug. Wie üblich saß Lucas hinten, aber dieses Mal gab es keine sichtbare Grenze zwischen ihm und den anderen. Zwei Typen – Vampire, schmal und bleich – saßen rechts und links von ihm, und sie waren mehr mit Lucas beschäftigt als mit den Gleichungen an der Tafel.
    Als ich näherschwebte, hörte ich Lucas flüstern: »Halt einfach den Mund, Samuel, okay?«
    Der dünnere der Vampire, ein neuer Schüler, der anscheinend Samuel hieß, entgegnete: »Ich kann es einfach nicht ignorieren. Das weißt du so gut wie ich. Du riechst es doch auch.«
    Der andere Vampir kicherte auf unglaublich abstoßende Weise in sich hinein und zeigte mit dem Mittelfinger auf ein Mädchen zwei Reihen vor ihm, das ihr blondes Haar sehr kurz geschnitten trug.
    »Atme mal tief ein«, flüsterte Samuel. »Es riecht doch nichts besser als ein Mädchen, das seine Tage hat.«
    Mir war nie richtig klar gewesen, dass Vampire es riechen konnten, wenn Mädchen ihre Periode hatten. Siedend heiß dämmerte mir,

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