Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Quelle ihres Zornes auf Lucas, wie ich mit einem Schlag begriff. Es hatte gar nichts mit Lucas selbst zu tun oder mit irgendetwas, das er getan hatte. Er hatte mir eine Alternative geboten und dafür gesorgt, dass ich Dinge hinterfragte, die ich vorher für selbstverständlich gehalten hatte. Ich fragte mich, ob es Dad jetzt wohl genauso erging.
Schließlich kehrte ich zum eigentlichen Thema zurück. »Auf jeden Fall sind die meisten Geister nicht so verrückt wie der eben.«
»Aber die meisten von ihnen erwecken diesen Anschein«, betonte Dad. »Denk doch nur mal an den Herbstball im vergangenen Jahr.«
Als wenn ich vergessen könnte, dass ich beinahe von riesigen Eiszapfen, die wie Speere herunterschossen, aufgespießt worden wäre. »Wenn die Geister so gefährlich sind, warum lockt Mrs. Bethany sie dann überhaupt hierher?«
»Sie lockt sie hierher? Bianca, wovon sprichst du?«
Rasch erklärte ich ihm das geheimnisvolle Verbindungsglied zwischen all den menschlichen Schülern, die nach Evernight kamen. Jeder Einzelne von ihnen stammte aus einem Spukhaus und stand mit einem oder mehreren Geistern in Verbindung. Einige dieser Geister waren ihnen hier nach Evernight gefolgt. »Das ist der Grund, warum Mrs. Bethany überhaupt angefangen hat, menschliche Schüler zuzulassen: um die Geister herzuholen.«
»Du glaubst nicht, dass es etwas mit der Tatsache zu tun hat, dass die Menschenschüler den Vampiren helfen, sich in der heutigen Zeit zurechtzufinden? Es gibt keine bessere Vorbereitung darauf, sich in die Welt der Menschen einzugliedern, als wirklich Zeit mit ihnen zu verbringen.« Er drückte meine Hand ganz fest, als glaubte er, ich sei ein bisschen leichtgläubig und dumm, ohne mir daraus was zu machen.
Aber ich schüttelte den Kopf. »Vielleicht ist das tatsächlich hilfreich. Aber ganz ernsthaft, Dad, jeder Einzelne dieser menschlichen Schüler? So viele Geister gibt es nun auch wieder nicht. Nicht einmal annähernd. Das kann kein Zufall sein.«
»Dann hat Mrs. Bethany also einen Grund, warum sie diese Geister einfangen will. Einen Grund, den wir nicht kennen. Ich werde versuchen, etwas herauszufinden.« Der Gesichtsausdruck meines Vaters veränderte sich und wurde angespannt und gedankenverloren, als wäre er zornig auf jemanden, der nicht hier im Raum anwesend war.
»Dad?«
»Es ist nur … Ach, nichts.« Er wandte mir wieder seine Aufmerksamkeit zu und drückte mich fest an sich. Ich strahlte so sehr vor Glück, dass es die ganze Bibliothek ausfüllte und sie golden erleuchtete.
»Es ist egal. Das alles ist unwichtig, solange wir dich wiederhaben.«
Wir blieben danach noch eine Weile beisammen, aber wir hatten die wichtigsten Dinge bereits gesagt. Bald würde er Mom alles erzählen; bis dahin, so beschlossen wir, würden wir uns nach seinen Unterrichtsstunden treffen, sodass wir jeden Tag wenigstens einige Minuten zusammen verbringen könnten. Dies würde uns auch die Möglichkeit verschaffen auszuloten, wie wir als Vater und Tochter miteinander umgehen wollten, nun, da sich so viel verändert hatte. Das war ein Anfang, und für mich fühlte es sich so an, als ob dieser Beginn alles war, was wir brauchten.
Als mein Vater lange nach Mitternacht endlich zu seinem und Moms Apartment hochstieg, war ich so erschöpft, als müsste ich mich für eine kleine Weile unsichtbar machen, was bei einem Geist »tief und fest schlafen« am nächsten kam. Aber ich wusste, dass ich dringendere Dinge zu tun hatte. Nachdem ich Christopher getroffen hatte, hatte ich meine Meinung, man müsse alle Geister fürchten, geändert. Dies eben war jedoch ein ganz schöner Schlag gewesen. Ich hatte erneut gesehen, wie gefährlich Geister für diejenigen sein könnten, die ich liebte. Schon wieder hatte ich mich gegen einen Geist zur Wehr gesetzt, und es wurde höchste Zeit herauszufinden, was ich sonst noch tun konnte, wenn Patrice nicht an meiner Seite war.
Was immer das Schwarze Kreuz mir angetan hatte – es hatte zumindest eine Kämpferin aus mir gemacht. Und ich musste mich auch endlich wie eine verhalten.
Wenn ich mich in einem Kampf selbst ausprobieren wollte, dann brauchte ich natürlich einen Geist als Gegner. Seit einigen Tagen hatte ich einen Kandidaten im Sinn: einen Geist, von dem ich mit absoluter Sicherheit wusste, dass er seine Kräfte nur auf die bösartigste Art und Weise einsetzte. Das schien mir ein guter Anfang zu sein.
»Ist ja fantastisch«, sagte Lucas, als er sich am nächsten Nachmittag neben mir
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