Evil - Das Böse
einer Art Lächeln auf, als er Blickkontakt zu Silverhielm suchte. Die anderen schwiegen. Die beiden nächstsitzenden Ratis zeichneten allerlei Kringel in ihre Notizbücher.
»Kann ich jetzt gehen?«, fragte Erik.
»Du wirst wegen unverschämten Auftretens dem Rat gegenüber zu vier Samstagsonntagen verurteilt, und jetzt verschwinde und nimm dich in Zukunft verdammt gut in Acht.«
»Jajaja«, sagte Erik einem mit theatralischen Seufzer und verschwand.
Als er in die Dunkelheit vor dem Schulgebäude hinaustrat, fielen die ersten großen Schneeflocken. Bald würde das Herbsthalbjahr zu Ende sein. Ein Viertel, dachte er. Schon ein Viertel auf dem Weg zur Freiheit.
War’s das wirklich wert, Erik? Seit fast zwei Wochen hast du diese Nähte im Gesicht, und erst jetzt kann man dich langsam erkennen, eine Zeit lang hast du unmöglich ausgesehen. Seitdem haben sie dich nicht mehr angerührt, aber vielleicht ist es nur, wie du gesagt hast: dass erst die Wunden verheilen müssen. Auch wenn ich nicht begreife, wieso das für diese brutalen Typen eine Rolle spielen soll. Du hast so viele Samstagsonntage bekommen, dass es bis in die sechste oder siebte Klasse reicht. Bis du in anderthalb Jahren hier aufhörst und anderswo aufs Gymnasium gehst, hast du kein freies Wochenende mehr. Jaja, so hast du in Mathe aufgeholt und überhaupt, aber was jetzt? Wenn du noch drei Halbjahre so weitermachst, wie viele Goldzähne wirst du dann haben? Es hält doch niemand zu dir, alle anderen wollen in Stjärnsberg alles so lassen, wie es ist, verstehst du? So komisch sich das anhört, aber sogar die Mittelschüler wollen es so. Die Klosternacht war für die Ratis ein Fiasko, aber das hat die anderen nur enttäuscht. So war es, auch wenn die Sache mit Silverhielm eine Sensation war. Es war eine witzige Geschichte, und Silverhielm hast du damit die Hölle heiß gemacht, das bleibt an ihm hängen, solange er hier ist.
Aber eigentlich, sag ich dir, eigentlich haben die meisten von der Mittelschule sich gewünscht, dir wäre passiert, was du mit Silverhielm gemacht hast. Es wäre genauso witzig, aber richtiger gewesen, wenn ihr die Rollen getauscht hättet. Und als Silverhielm dich im Speisesaal ins Gesicht geschlagen hat, glaub ja nicht, dass da irgendwer auf deiner Seite war. Die wollten nur sehen, wie viel du einstecken kannst. Okay, der Auftritt hatte seine Wirkung, und alle geben zu, dass du noch viel härter bist, als irgendwer sich vorstellen konnte. Niemand wird auf die Idee kommen, dich jemals auch nur scheel anzusehen, ich meine, niemand, der nicht im Rat sitzt. Aber hinter deinem Rücken schneiden die Leute Grimassen und tippen sich an die Schläfe, weil sie dich für leicht bescheuert halten. Wenn du nicht nach mir der Zweitbeste in der Klasse wärst, würden sie sogar laut sagen, dass du bescheuert bist. Dann hätten sie eine Erklärung für alles und brauchten sich nicht mehr um deinen Widerstand zu kümmern. Jetzt haben wir bald Weihnachtsferien, aber wenn das Frühjahrshalbjahr anfängt, kann es nur mit einem enden. Ich meine, mit noch mehr Prügeln vom Rat.
Natürlich werden sie mich nicht in Ruhe lassen, das ist mir klar. Aber ich glaube nicht, dass ich noch oft in die Nähstube im Krankenhaus muss. Das ist genau das, was du nicht verstehst, es gibt sehr viel, was du nicht verstehst, wenn es um Gewalt geht. Es ist nämlich so: Der Grund, warum sie mich in Ruhe lassen, obwohl ich ihnen mit Silverhielms Scheißegestank auf die Nerven gehe, ist nicht nur, dass ich noch die Fäden im Gesicht habe. Das ist nur der äußere Anlass. Viel wichtiger ist, dass Gewalt auch dem Angst macht, der zuschlägt. Es gibt keinen, der sich nicht auf irgendeine Weise fürchtet, wenn er kämpft, das tut man immer.
Und es gibt nichts, was so Angst macht, glaube ich, wie einem Typen immer wieder ins Gesicht zu schlagen, ohne dass er fällt.
Du hast Silverhielm ja gesehen. Am Ende war er total verzweifelt. Weil er Angst hatte, und Angst hat er gehabt, weil ich einfach stehen geblieben bin. Nur deshalb hab ich das überhaupt geschafft: weil ich wusste, dass es so läuft. Das steckt ihnen immer noch in den Knochen. Jeder von ihnen fragt sich, wie er sich in Silverhielms Situation verhalten hätte. Und überlegt, was man tun kann, um nicht noch mal in Silverhielms Situation zu geraten. Sie können mich nicht totschlagen, eine Grenze gibt es also. Ich meine, es ist so wie mit dem Waffenvorrat der Heimwehr. Du und ich könnten vielleicht hingehen und uns
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