Evil - Das Böse
denken.
»Da ist offenbar jemand in Stjärnsberg die Treppe runtergefallen«, sagte George Bernard Shaw, hielt eine Betäubungsspritze ins Licht und drückte einen kurzen Strahl in die Luft.
»Stillhalten, jetzt wird betäubt. Schwester, bitte, machen Sie noch eine fertig. Ja, junger Mann, hier kommt die erste Spritze. Üble Treppen habt ihr da in Stjärnsberg, was?«
Erik gab keine Antwort. Der Arzt verpasste ihm die erste Betäubungsspitze irgendwo unter dem linken Auge in die Wange.
»Musch viel genäht werden?«, fragte Erik.
»Mm, aber ich hab schon Schlimmeres gesehen«, sagte der Arzt und machte die nächste Spritze fertig. »Das gibt ein paar Stunden Näharbeit, das kann ich dir sagen.«
»Wie viele Schtische un wo?«
»Hier auf der Wange haben wir zwei Stellen, von denen jede sieben oder acht Stiche braucht. Die Wundränder sind leider nicht so glatt, wie man sie gern hätte, so ist das, wenn Wunden durch das entstehen, was die Polizei Körperverletzung mit einer stumpfen Waffe‹ nennt. Durch die Treppe eben.«
»Ummein Mund?«
»Hier im Mundwinkel brauchen wir wohl nur einen Stich, möglicherweise zwei, aber wir müssen auch in den Mund hinein, um dich ein wenig von innen zu vernähen.«
»Wasch ischt mit den Augen? Ich kann nichtsch schehen.«
»Das Auge an sich ist nicht verletzt, das ist wohl die Hauptsache. Aber nach so vielen Schlägen dauert es ein paar Tage, bis es wieder herausschaut. Haben sie dich ins Gesicht getreten?«
Erik versuchte, sich die richtige Antwort zu überlegen.
»Nein«, sagte er nur.
»Komisch«, sagte George Bernard Shaw und beugte sich über Eriks Gesicht, »es sieht nach Tritten aus, und diese unebenen Wundränder könnten durch Absätze von Schuhen entstanden sein, nicht wahr?«
Der Arzt setzte eine dritte Betäubungsspritze, während Erik überlegte, was er antworten sollte. Konnte es sein, dass alle logen, die herkamen, nachdem sie in Stjärnsberg ins Karo geholt worden wären?
»So«, sagte der Arzt, »jetzt warten wir ein Weilchen, bis die Betäubung wirkt. Hast du auf dem Weg hierher gekotzt? Ist dir schlecht? Schwester, wir sollten vielleicht ein Becken herstellen, wenn Sie so nett sein würden.«
»Nein, mir gehtsch eigentlich gantsch gut«, sagte Erik.
Der Arzt hielt seine Instrumente ins Licht und zog den ersten Faden durch die Zange.
»Ja, ja, diese Treppen aber auch«, seufzte er. »Aber ich hatte schon Leute hier, die schlimmer ausgesehen haben als du. Anfang des Schuljahrs war hier einer, Lennart hieß er, glaube ich, dem fehlten drei Zähne und das Nasenbein hatten sie ihm in fünf Stücke zerlegt. Deine Nase hat nur einen leichten Knick. Das heilt, in zwei Wochen, auch wenn du hinterher ein bisschen breitnasig aussehen wirst.«
Der Arzt setzte den ersten Stich.
»Hier abschneiden, bitte, Schwester. Der mit dem fünfgeteilten Nasenbein und den drei fehlenden Zähnen war dieselbe Treppe hinuntergefallen wie du, nehme ich an. Du hast das vielleicht sogar gesehen?«
Der Arzt setzte den zweiten Stich.
Es war also von Lelle die Rede. Ob der Arzt wohl den Zusammenhang begriff? Wusste er, dass Erik Lelles Treppe gewesen war? Nein, wahrscheinlich nicht.
»Und wieder schneiden, danke. - Eigentlich«, sagte der Arzt nach einer Weile des Schweigens und einigen weiteren Stichen, »müssen wir bei Verdacht auf Kindesmisshandlung die Polizei informieren. In den Augen des Gesetzes bist du nämlich noch ein Kind, junger Mann. Und wenn die Polizei das Nazinest, aus dem du kommst, ausräucherte, dann könnten wir uns vielleicht nützlicheren Dingen widmen, als misshandelte Kinder wieder zusammenzuflicken. Na, was sagst du dazu?«
»Dasch ich noch schwei Jahre dableiben musch, damit ich in Schtockholm aufsch Gymnaschium kann«, antwortete Erik nach einiger Bedenkzeit.
»So, so, ja, und also wirst du bei der Geschichte mit der Treppe bleiben?«
»Ich hab nichtsch über eine Treppe geschagt und werde auch nichtsch darüber schagen. Ich musch noch etwasch über drei Halbjahre dahin. Schlusch, ausch.«
»Ja, Herrgott«, seufzte der Arzt, »wenn ihr wenigstens noch Mensurfechten würdet, dann hätte man wenigstens klare, glatte Wundkanten statt diesem Verhau. Schwester, schneiden, bitte. Weißt du, was Mensurfechten ist?«
»Nein, glaub nicht.«
»Fantastisch, und da hatte ich doch wirklich gedacht, ihr in Stjärnsberg wüsstet alles darüber. Es geht dabei darum, dass zwei Nazis mit Säbeln fechten und dabei so dicht voreinander stehen, dass jeder die
Weitere Kostenlose Bücher