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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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(Neirynck 2006: 242ff.; Heinsohn 2006).
    Auch heute lassen sich in vielen Krisenherden der Welt zum Teil extreme Bevölkerungszuwachsraten nachweisen (Afghanistan, Somalia, Ruanda, Palästina, Irak, Pakistan, …). Gunnar Heinsohn sieht insbesondere einen sehr hohen Anteil junger Männer an der Gesamtbevölkerung als kritisch für eine mögliche Kriegsentwicklung an (Heinsohn 2006) 148 .
    Im 20. Jahrhundert passten die europäischen Bevölkerungen ihre Geburtenraten sukzessive an die niedrigen Sterberaten an, so dass der starke Bevölkerungszuwachs ab etwa 1930 fast überall zum Erliegen kam.
    Ab etwa 1970 traten sehr viele moderne Gesellschaften in den
demographischen Wandel
, mit dem sich das vorliegende Kapitel schwerpunktmäßig beschäftigt. Als vermutliche Hauptgründe können angeführt werden:
Zuverlässige Kontrazeptiva (die Pille)
Berufsorientierte weibliche Emanzipation
Rentenversicherung
    Heute reichen durchschnittlich ca. 2,1 Kinder pro Frau aus, damit sich eine Bevölkerung mengenmäßig erhalten kann. Im 18. Jahrhundert lag diese Zahl noch deutlich über vier. Man kann deshalb durchaus behaupten: Der Rückgang der Sterblichkeit war die Voraussetzung für die Emanzipation der Frauen. So würde eine in sich abgeschlossene Gesellschaft (das heißt, es existieren weder Zu- noch Abwanderungen) mit 80 Millionen Einwohnern, einer Fertilitätsrate von 1,4, einer Generationendauer von 30 Jahren und einer Bestandserhaltungsrate von 2,1 (niedrige Sterblichkeit) binnen 100 Jahren auf ca. 20 Millionen Einwohner schrumpfen, bei einer Bestandserhaltungsrate von 4,2 (hohe Sterblichkeit) dagegen auf ca. zwei Millionen. Unter solchen Verhältnissen würde sich eine Gesellschaft bereits innerhalb der Lebenszeit von Menschen erkennbar zu Tode schrumpfen, was gesellschaftlich wohl kaum hingenommen würde.
5.2 Fertilitätstheorien
    Demographen, Ökonomen und Sozialwissenschaftler machen sich seit vielen Jahren Gedanken darüber, wie das weltweit und auch historisch sehr unterschiedliche Fortpflanzungsverhalten der Menschheit zu erklären ist. Ich möchte hier nicht bei Adam und Eva, beziehungsweise den Theorien von Thomas Robert Malthus anfangen, sondern einige wesentliche neuere Modelle vorstellen, von denen zahlreiche Experten der Ansicht sind, sie könnten speziell das aktuelle Reproduktionsverhalten der entwickelten Länder recht gut erklären.
    Begonnen werden soll mit der ökonomischen Theorie der Fertilität. Bitte lassen Sie sich nicht von Wörtern wie
Konsumnutzen von Kindern
oder
Humankapital
irritieren: Ökonomen reden so. Sie verwenden Worte in einem bestimmten Kontext, wie dies andere Wissenschaften auch tun.
    Wenn Sie zum Beispiel eine Eigentumswohnung besitzen und diese vermieten, dann erzielen Sie damit einen
Einkommensnutzen
. Soll die Wohnung später einmal Teil Ihrer Altersversorgung werden, dann besitzt sie zusätzlich einen
Sicherheitsnutzen
. Wohnen Sie selbst in der Wohnung, dann hat sie für Sie einen
Konsumnutzen
.
    Wenn nun also im Folgenden von einem Konsumnutzen von Kindern gesprochen wird, dann handelt es sich dabei um all die Gründe, weswegen man sich üblicherweise an Kindern erfreut. Die Ökonomen hätten also auch Erfreuungsnutzen sagen können, nur wäre dann ein solcher Nutzen in Bezug auf einen Teller Spinat schwer zu vermitteln gewesen.
5.2.1 Ökonomische Theorie
    Die ökonomische Theorie (Hill/Kopp 2004: 198ff.) der Fertilität von Harvey Leibenstein und Gary S. Becker gilt als eines der überzeugendsten theoretischen Modelle, um das global sehr unterschiedliche Fertilitätsverhalten von Bevölkerungen zu erklären. Insbesondere die sehr niedrigen Fertilitätsraten in den entwickelten Staaten ließen sich mit älteren Theorien nicht in Einklang bringen.
    Aber die Theorie ist – speziell im vorliegenden Kontext – auch noch aus einem ganz anderen Grund von Interesse.
    Wie im Abschnitt
Systemische Evolutionstheorie
auf Seite → erläutert wurde, ist die Erbringung der aufwendigen und kräftezehrenden Nachwuchsarbeit aus Sicht eines Individuums alles andere als selbstverständlich. Ganz nüchtern betrachtet sollten vor allem Populationen und eventuell noch die den Individuen innewohnenden Gene 149 ein Fortpflanzungsinteresse (Reproduktionsinteresse) besitzen. Damit die Fortpflanzung trotzdem zuverlässig geschieht, musste die Natur (die Evolution) den Individuen einen entsprechenden Willen geradezu biologisch „verordnen“. Anders gesagt: Lebewesen waren so zu konstruieren, dass sie

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