Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Individuen in Urgesellschaften, obwohl die Geschlechterrollen damals wohl viel ausgeprägter waren als heute.
Ansonsten deckt sich die Darstellung Durkheims sehr weit mit den Vorstellungen der
Systemischen Evolutionstheorie
, inklusive der Herausstellung eines gesellschaftlichen Kollektivbewusstseins im Sinne einer eigenständigen Identität. Jedoch fehlt ein Hinweis auf die mit der zunehmenden Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung einhergehende gesellschaftliche Durchsetzung der Gefallen-wollen-Kommunikation, die ebenfalls maßgeblich auf die gestiegene Bevölkerungsdichte zurückzuführen sein dürfte. Denn letztlich war diese die Voraussetzung für das Entstehen von Märkten und modernen Wirtschaftstätigkeiten, aber auch für weitere Zivilisationsprozesse und die Demokratie.
Durkheim konzentriert sich ganz auf gesellschaftliche Prozesse. Anders als Marx erkennt er nicht, dass ein Merkmal der Moderne das Aufkommen von eigenständigen Evolutionen unterliegenden Organisationssystemen („die Kapitalisten“) ist.
6.1.4 Max Weber
An dieser Stelle soll nicht auf die Bedeutung Max Webers für die Grundlegung der Soziologie oder auf seine Aussagen zur Werturteilsfreiheit wissenschaftlichen Arbeitens eingegangen werden. Stattdessen möchte ich mich aufseine Vorstellungen in Hinblick auf die Ursachen gesellschaftlicher Veränderungsprozesse konzentrieren.
Im Gegensatz zu Karl Marx behauptet Max Weber nun, dass nicht nur wirtschaftliche Entwicklungen den Fortgang einer Gesellschaft beeinflussen, sondern dass beispielsweise auch die in der Gesellschaft vorherrschenden religiösen Grundhaltungen dabei eine maßgebliche Rolle spielen. So habe der Protestantismus mit seiner spezifischen Neigung zum ökonomischen Rationalismus und der in ihm verankerten Idee des Berufsethos die Einführung kapitalistischer, das heißt, rationaler Organisationsformen in eine ehemals agrarisch-feudale Gesellschaft in dieser Form und in der dafür notwendigen Weise überhaupt erst möglich gemacht (Korte 2004: 58).
Desweiteren führte Max Weber einen handlungstheoretischen Ansatz in die Soziologie ein, gemessen dessen Kernaussage sich Gesellschaft durch motivational bedingtes soziales Handeln von Individuen bildet.
Ganz ähnlich gelten in der
Systemischen Evolutionstheorie
die Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteressen (Intentionen, Motivationen) als die eigentlichen Triebfedern des gesellschaftlichen Wandels, allerdings – im Gegensatz zu Weber – nicht nur die von Individuen, sondern von sozialen Systemen (zum Beispiel Organisationen) ebenso. In dieser Hinsicht entspricht die Systemische Evolutionstheorie also eher der Handlungstheorie Colemans (siehe Abschnitt
James S. Coleman
auf Seite → ), bei der die intentional handelnden Akteure sowohl Individuen als auch ganze Organisationen sein können.
Auch die Auffassung Webers zur Rolle des Protestantismus im Rahmen der Entstehung des Kapitalismus ist mit der Systemischen Evolutionstheorie vereinbar. Selbstverständlich können sich bestimmte Veränderungen evolutionär umso leichter durchsetzen, je empfänglicher dafür die davon betroffenen Individuen und sozialen Systeme (Akteure) sind.
6.1.5 Systemtheorie (Parsons/Luhmann)
Parsons
Die soziologische Systemtheorie Parsons setzt auf dem im Abschnitt
Systemdefinition
auf Seite → gegebenen
strukturellen Systembegriff
auf und erklärt das Handeln des Einzelnen aus dem jeweiligen Systemzusammenhang heraus. Parsons stellt im Rahmen seiner Forschungsarbeiten die Frage,wie es Systeme schaffen, sich zu erhalten und über einen längeren Zeitraum stabil zu bleiben (Parsons 1975; Parsons 2003).
Seine Antwort ist: Dafür muss jedes soziale System vier
Funktionen
gemäß dem von ihm definierten AGIL-Schema erfüllen (Korte 2004: 71):
Anpassung ( A daption)
Die Aufnahme und Bereitstellung von Ressourcen aus der Umwelt
Zielerreichung ( G oal Attainment)
Die Orientierung an Systemzielen
Integration ( I ntegration)
Die Koordinierung der einzelnen Systemelemente
Strukturerhaltung ( L atent Pattern Maintenance)
Die Sicherung der Systemstruktur
Die Strukturerhaltung bezieht sich auf die innere Struktur des Systems, die Adaption auf seine Kommunikation mit der Umwelt.
Parsons hat zur Erfüllung der obigen Funktionen vier gesellschaftliche Subsysteme identifiziert (Schmidt-Wellenburg 2005: 43):
Der
Verhaltensorganismus
, der als raum-körperliche Komponente die Bewegung und Verortung in der Welt und die Ausbeutung von Ressourcen ermöglicht, übt die
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