Evolution, Zivilisation und Verschwendung
In seiner Systemtheorie ist folglich die Funktion der Struktur vorgelagert, weswegen er den Begriff der funktional-strukturellen Systemtheorie prägte (Korte 2004: 76).
Während also soziale Systeme bei Parsons bereits Strukturen besitzen, die sich gemäß dem AGIL-Schema erhalten oder auch verändern, geht Luhmann von der Annahme aus, dass sich soziale Systeme durch die Handlungen beziehungsweise Kommunikationen von Menschen erst bilden (Korte 2004: 76).
Eine Kernaufgabe sozialer Systeme ist gemäß Luhmann die Reduktion von Komplexität. Soziale Systeme bilden also Inseln geringerer Komplexität in einer ansonsten komplexeren Umwelt. Im Verlaufe der Moderne findet nun eine fortschreitende funktionale Differenzierung in immer mehr gesellschaftliche Subsysteme statt, die wechselseitig voneinander abhängig sind. Je stärker sich eine Gesellschaft ausdifferenziert, desto entwickelter undkomplexer ist sie. Man könnte folglich die Fortgeschrittenheit einer Gesellschaft über den Grad ihrer Ausdifferenziertheit bestimmen (Korte 2004: 77).
In einer späteren Phase übertrug Luhmann den aus der Biologie stammenden Begriff der Autopoiesis auf soziale Systeme. Ähnlich wie sich lebende Zellen eigenständig reproduzieren, organisieren sich soziale Systeme gemäß seinen Vorstellungen fortlaufend aus sich selbst heraus, und zwar durch sinnhafte, auf sich selbst bezogene (selbstreferenzielle) Kommunikation, inklusive entsprechender Anschlusskommunikationen. Die Konsequenz daraus ist: Menschen können nicht den sozialen Systemen angehören, sondern müssen deren jeweiligen Umwelten zugerechnet werden.
Aufgrund ihrer systemspezifischen Kommunikationsweise werden die verschiedenen Subsysteme mit der Zeit immer geschlossener, so dass zwischen ihnen dann prinzipiell keine Kommunikation mehr möglich ist (Korte 2004: 79) 164 .
Um die Weiterentwicklung von Gesellschaften und sozialen Systemen erklären zu können, entwarf Luhmann ein sich an Darwin anlehnendes Evolutionsmodell, welches sich aus dem Dreiklang Variation, Selektion und Restabilisierung zusammensetzt. Die Variation wird dabei den Elementen eines Systems, die Selektion der Struktur und die Restabilisierung dem System selbst zugeordnet (Schmidt-Wellenburg 2005: 119).
Die Funktion der Restabilisierung wurde erforderlich, da die Luhmannsche Systemtheorie keine stabilen Umwelten kennt. Einmal getroffene Selektionen müssen also nicht unbedingt zu stabilen Systemzuständen führen, da ja die Umwelt variabel ist. Folglich müssen die Systeme, um weiterhin an der Evolution teilnehmen zu können, selbst für die erforderliche Stabilität sorgen. Dazu dient die Restabilisierung (Schmidt-Wellenburg 2005: 118).
Zusätzliche Informationen zur Luhmannschen Systemtheorie finden sich in den Abschnitten
Luhmannsche
Systemtheorie auf Seite → und
Autopoietische Systeme
auf Seite → .
Die Luhmannsche Systemtheorie weist einige Ähnlichkeiten zur
Systemischen Evolutionstheorie
auf, da es sich bei beiden Ansätzen letztlich um Systemtheorien handelt. Allerdings bestehen in einigen entscheidenden Punkten (Begriff der Autopoiesis, Evolutionsprinzip, Zugehörigkeit vonMenschen zu sozialen Systemen etc.) so große Differenzen, dass die beiden Ansätze als nicht miteinander kompatibel bezeichnet werden müssen.
6.1.6 Kritische Theorie
Die Kritische Theorie (Frankfurter Schule) setzte erneut auf dem Marxschen Ansatz auf und führte ihn weiter. Im Gegensatz zur Weberschen Werturteilsfreiheit vertrat man nun die Auffassung, dass wissenschaftliche Aussagen auch immer gesellschaftliche Tatsachen sind. Theorie sei somit eine Form von gesellschaftlicher Praxis.
Allerdings unterschied man sich in einigen wichtigen Punkten von Marx, und zwar insbesondere was das Verhältnis von Basis und Überbau angeht. Anders als Marx, der das Bewusstsein ausschließlich vom Sein bestimmt sah und sich folglich auf die Frage konzentrierte, wie es den abhängig Beschäftigten gelingen könnte, in den Besitz von Produktionsmitteln zu gelangen, ging die Kritische Theorie von einer Wechselwirkung zwischen Basis und Überbau aus. Es sei deshalb notwendig, zunächst die Kultur einer Gesellschaft zu untersuchen, um dabei herauszufinden, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse von dort aus mitbestimmt beziehungsweise aufrechterhalten werden, und wie sie unter Umständen von dort aus auch verändert werden können.
Dabei wurde insbesondere die Psychoanalyse dazu auserkoren, eine Verbindung zwischen
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