Evolution, Zivilisation und Verschwendung
autopoietischen Elemente nicht selbst), sind sie auf der anderen Seite doch auch deutlich autonomer als letztere. Der Begriff „Superorganismus“ dürfte wohl deshalb auch in Zukunft eher den Organisationssystemen vorbehalten sein.
179 Dazu gehören auch die zurzeit nicht abschätzbaren Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens auf das generative Verhalten der Bevölkerung (Mersch 2007b).
7 Verschwendung
7.1 Verschwendung durch „gefallen wollen“
Die Einführung der „Gefallen-wollen-Kommunikation“ im Rahmen der sexuellen Selektion stellte einen entscheidenden Durchbruch für die Evolution des Lebens auf diesem Planeten dar, bewirkte sie doch unter anderem erheblich beschleunigte Evolutionsprozesse und in der Folge auch die menschliche Intelligenz (Miller 2001). Aufgrund des durch sie ermöglichten fairen Wettbewerbs unter Gleichen wurde sie zum Modell für viele spätere menschliche kulturelle Entwicklungen. Sie ist die Basis heutiger Marktwirtschaften und wohl auch des Zivilisationsprozesses insgesamt. Auch war sie die Voraussetzung für das Entstehen moderner Organisationen wie etwa Unternehmen. Allerdings ist sie alles andere als nebenwirkungsfrei, denn sie führt unter anderem zu einer sehr weiten Ausnutzung der Ressourcen eines Lebensraums und vor allem zu einer beträchtlichen Verschwendung. Dieser letzte Punkt soll im vorliegenden Kapitel näher untersucht werden.
7.1.1 Werbung
Auf die Bedeutung der Verschwendung im Rahmen der Partnerwerbung wurde bereits im Abschnitt
Fitnessindikatoren
auf Seite → eingegangen. Ich möchte dazu Geoffrey F. Miller noch einmal etwas ausführlicher zu Wort kommen lassen (Miller 2001: 150ff.):
Das Handicap-Prinzip betont, dass sexualspezifischer Schmuck und Werbungsverhalten aufwendig sein müssen, um zuverlässige Fitnessindikatoren zu sein. Ihre Kosten können fast jede Form annehmen. Vielleicht erhöhen sie das Risiko, von Raubfeinden entdeckt zu werden, indem sie das Tier durch leuchtende Farben auffälliger machen. Vielleicht erhöhen sie das Risiko einer Infektion, indem sie das Immunsystem des Tieres beeinflussen (wie viele Geschlechtshormone). Vielleicht verschlingen sie, wie der Vogelgesang, enorme Mengen an Zeit und Energie. Vielleicht verlangen sie, wie bei der Jagd in menschlichen Stammesgesellschaften, gewaltigen Aufwand für ein kleines Stückchen Fleisch.
Nach Veblens Prinzip des demonstrativen Konsums spielt die Form des Aufwands keine große Rolle. Allein die ungeheure Verschwendung zählt. Nur sie sorgt für die Aufrichtigkeit der Fitnessindikatoren und macht Partnerwerbung erst romantisch: das verschwenderische Tanzen, das verschwenderische Schenken, die verschwenderische Konversation, das verschwenderische Lachen, das verschwenderische Vorspiel, die verschwenderischen Abenteuer. Vom Standpunkt des „Überlebens des am besten Angepassten“ aus erscheint dies verrückt und sinnlos und nicht zur Anpassung geeignet. Die menschliche Partnerwerbung scheint sogar vom Standpunkt der sexuellen Selektion auf nichtgenetische Vorteile verschwenderisch zu sein, weil, wie wir noch erfahren werden, die als besonders romantisch geltenden Liebestaten für den Gebenden oft am kostspieligsten sind, dem Empfänger aber die geringsten Vorteile bringen. Nach der Theorie der Fitnessindikatoren ist diese Verschwendung jedoch der effektivste und zuverlässigste Weg, etwas über jemandes Fitness zu erfahren. Wenn man in der Natur offensichtliche Verschwendung beobachtet, ist die sexuelle Selektion am Werk.
Jeder sexualspezifische Schmuck bei jeder sich sexuell fortpflanzenden Art ließe sich als eine eigene Form der Verschwendung betrachten. Männliche Buckelwale verschwenden ihre Energie mit 30-minütigen, Hunderte von Dezibel lauten Gesängen, die sie während der Paarungssaison den ganzen Tag über wiederholen. Männliche Webervögel verschwenden ihre Zeit mit dem Bau kunstvoller Nester. Männliche Hirschkäfer verschwenden Materie und Energie aus ihrer Nahrung für gewaltige Mandibeln (Oberkiefer). Männliche Seeelefanten verschwenden in jeder Paarungssaison 500 Kilogramm ihres Körperfettes auf den Kampf mit männlichen Artgenossen. Männliche Löwen verschwenden unzählige Kalorien darauf, 30-mal am Tag mit Löwinnen zu kopulieren, bis die Weibchen endlich empfangen. Männliche Menschen verschwenden ihre Zeit und Energie darauf, akademische Titel zu erlangen, Bücher zu schreiben, Sport zu treiben, andere Männer zu bekämpfen, Bilder zu malen, Jazz zu
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