Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Hierarchien“. Flexible Institutionen sind leichter zu verändern oder abzuschaffen (…).
Eine solche Organisationsweise macht es relativ leicht, einen wenig profitablen Unternehmensbereich abzustoßen, ein neues Geschäftsfeld hinzuzufügen oder einen internen Lieferanten durch einen kostengünstigeren externen Anbieter zu ersetzen, und zwar ohne dabei das Gesamtunternehmen in seinem Bestand zu gefährden. Auf diese Weise ist eine wesentlich schnellere Anpassung an neue Markterfordernisse möglich. Anders gesagt: Ein netzwerkartig operierendes Unternehmen besitzt eine größere Systemflexibilität.
Im Grunde verbessert ein solches Unternehmen vor allem den eigenen Selbsterhalt, allerdings vielfach auch auf Kosten der Interessen seiner Mitarbeiter. Beispielsweise haben moderne Unternehmen zahlreiche Aufgaben, die sie früher selbst erledigten, an kleine Firmen oder Einzelpersonen mit kurzfristigen Verträgen ausgelagert. Gleichzeitig wurden viele Stellen durch Projekte oder Arbeitsfelder ersetzt (Sennett 2007: 25), bei denen sich Teams mit wechselnder Zusammensetzung von Aufgabe zu Aufgabe bewegen (Sennett 2007: 28).
Joseph Schumpeter stellte die These auf, jede ökonomische Entwicklung baue auf dem Prozess der schöpferischen beziehungsweise kreativen Zerstörung auf. Durch die Zerstörung von alten Strukturen würden die Produktionsfaktoren immer wieder neu geordnet. Sie sei folglich notwendig, damit eine Neuordnung entstehen könne. Auslöser für die schöpferische Zerstörung seien Innovationen, die von den Unternehmen im Interesse des eigenen Selbsterhalts (ihre Durchsetzung auf den Märkten) vorangetrieben werden (Schumpeter 2005).
Joseph Schumpeters Vorstellung ähnelt also sehr der später von Thomas S. Kuhn formulierten Auffassung, dass die wissenschaftliche Entwicklung vor allem eine Abfolge von Revolutionen – gefolgt von Phasen verhältnismäßiger Ruhe – ist (siehe dazu die Ausführungen im Abschnitt
Evolution des Wissens
auf Seite → ).
Betrachtet man die Sache evolutionstheoretisch (siehe Kapitel
Evolution
auf Seite → ), dann sind beide Auffassung durchaus einleuchtend: Evolution findet keineswegs nur langsam und geradlinig statt, sondern sie wird immer wieder von plötzlichen Einbrüchen und Innovationen unterbrochen. Das ist auch in der Natur nicht anders, immerhin hat sich ja sogar der Mensch binnen einer für Evolutionsprozesse extrem kurzen Zeit von nur zwei Millionen Jahren über die gesamte Erde ausbreiten können.
Die Thesen Schumpeters haben nun aber leider auch dazu geführt, dass die gezielte Zerstörung vorhandener Unternehmensstrukturen durch das Management gelegentlich mit einem natürlichen Innovationsprozess verwechselt wurde. Hierarchien flachen in Unternehmen aber üblicherweise nur deshalb ab, weil die Technik dies nun auch ermöglicht. Reine Managemententscheidungen ohne begleitende technologische Unterstützung dürften dagegen eher zu einer Effizienzverschlechterung des Unternehmens führen.
Wie bereits gesagt wurde, handelt es sich bei modernen Organisationssystemen im Wesentlichen um Netzwerke aus relativ schwach gebundenen Organisations- und Interaktionssystemen, denen die jeweils erforderlichen Humankapitalressourcen (menschliche Kompetenzen) je nach Bedarf zugewiesen werden. Solche Unternehmen binden ihre internen und externen Mitarbeiter zwar noch immer vertraglich an sich, ordnen ihnen dann aber häufig wechselnde Aufgaben in unterschiedlichen Interaktions- und Suborganisationssystemen und nicht selten auch an variierenden Orten zu, ganz anders als dies Organismen bei ihren Zellen tun, welche in ihren Wirten stets die gleichen Aufgaben am gleichen Ort zu erledigen haben.
Moderne Organisationssysteme erwarten von ihren Mitarbeitern ein Höchstmaß an Flexibilität, und zwar – wie wir gesehen haben – aus egoistischen Motiven. Es geht dabei primär um den eigenen Selbsterhalt 54 . Das Problem dabei ist, dass solche unternehmerischen Interessen insbesondere mit den natürlichen Reproduktionsinteressen ihrer Mitarbeiter kollidieren: Das Aufziehen von eigenen Kindern setzt nämlich vor allem Verlässlichkeit voraus, und diese ist in einer Welt der Flexibilität nur sehr schwer in der dafür erforderlichen Weise zu gewährleisten. Nicht umsonst nannte die Bundesregierung ihren siebten Familienbericht dann auch: „Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit“.
3.10 Emergenz
Unter
Emergenz
versteht man die spontane Herausbildung von Phänomenen oder
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