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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie als Frau wahrnahm, die sie dazu veranlasst hatte, diese
List zu ersinnen.
    Im Gegensatz zu seinen im Wald lebenden Vorfahren war Axts
stärkster Sinn das Sehen und nicht der Geruch, und so
überlagerte die Botschaft von den Augen die Warnung der Nase. Er
beugte sich vor und berührte sie an der Schulter, am Hals und an
der Brust. Dann setzte er sich neben sie und kämmte ihr wirres
Haar.
    Langsam entspannte sie sich.
    Weit blieb für den Rest ihres Lebens bei Axt. Doch so lang
und wann immer sie die Möglichkeit hatte – derweil sie an
Weisheit und Stärke gewann, derweil ihre Kinder heranwuchsen,
bis sie ihr Enkel anvertrauten, damit sie sie wiederum
beschützte und formte –, rannte sie, soweit die Beine sie
trugen.

 
KAPITEL 10

DAS ÜBERFÜLLTE LAND
     
    Zentral-Kenia, Ostafrika,
vor ca. 127.000 Jahren

     
I
     
     
    Kieselstein hatte einen Maniok-Strauch gefunden. Er bückte
sich und begutachtete ihn.
    Er war acht Jahre alt und nackt außer Ocker-Streifen auf der
Tonnenbrust und im breiten Gesicht. Er riss etwas Gras im Umfeld des
Maniok-Strauchs aus. Diese Stelle war für Maniok reserviert,
nicht für Gras, und so sollte es auch bleiben.
    Es waren zuvor schon Leute hier gewesen, um Knollen auszugraben.
Vielleicht war er selbst schon einmal hier gewesen. Mit seinen acht
Jahren kannte er bereits jeden Winkel des Reviers seiner Leute, und
er glaubte, sich an diese Stelle zwischen diesen verwitterten
Sandsteinfelsen zu erinnern.
    Er nahm den Grabstock. Dabei handelte es sich um eine schwere
Stange, die durch einen kleinen, grob durchbohrten Felsbrocken
geschoben war. Trotz des Gewichts hob er das Werkzeug mit
Leichtigkeit an und rammte es unter Einsatz der Schulter in den
harten Boden.
    Kieselstein hatte einen muskulösen Körper mit einem
starken Knochenbau. Während Weit, seine längst tote Ahnin,
wie eine Langstreckenläuferin angemutet hatte, hätte
Kieselstein als Junior-Kugelstoßer durchzugehen vermocht. Sein
Gesicht war breit, mit groben Zügen und wurde von einem dicken
knöchernen Brauenwulst geprägt. Er hatte eine mächtige
Nase und große Nebenhöhlen, durch die das Gesicht
irgendwie aufgeschwemmt wirkte. Sein Schädel, der
beträchtlich größer war als Weits, beherbergte ein
großes und komplexes Gehirn. In seiner Größe war es
bereits mit dem eines modernen Menschen vergleichbar, doch anders als
bei diesem saß es direkt hinterm Gesicht.
    Bei der Geburt war Kieselsteins feuchter Körper flach und
rund gewesen und hatte im Bewusstsein seiner Mutter das Bild eines
Kieselsteins hervorgerufen, der vom Wasser eines Flusses glatt
geschliffen war. Namensgebung lag für die Leute noch weit in der
Zukunft – bei den gerade einmal zwölf Leuten in
Kieselsteins Gruppe waren Namen unnötig –, und dennoch
erinnerte die Mutter dieses Jungen, wenn sie in einem Fluss einen
glänzenden Stein sah, sich daran, wie ihr Kind als Baby in ihren
Armen gelegen hatte.
    Also Kieselstein.
    In diesem Zeitalter gab es viele robuste Arten von Leuten wie
Kieselsteins Sippe, die über Europa und West-Asien verstreut
waren. Diejenigen, die Europa bewohnten, würden eines Tages
Neandertaler genannt werden. Doch genauso wie in Weits Zeit
würden die meisten Arten dieser Leute niemals entdeckt und noch
viel weniger verstanden, klassifiziert und mit einem
Hominiden-Stammbaum verknüpft werden.
    Aber seine Leute waren stark. Schon im Alter von acht Jahren
verrichtete Kieselstein Arbeiten, die das Überleben seiner
Familie sicherten. Er war noch nicht soweit, um mit den Erwachsenen
auf die Jagd zu gehen. Aber er vermochte schon Maniokknollen mit den
Besten von ihnen auszugraben.
    Der Wind frischte etwas auf und trug den würzigen Geruch von
Holzrauch von den Hütten heran. Er musste sich dazu zwingen,
wieder an die Arbeit zu gehen.
    Seine Bemühungen hatten Erfolg. Er stieß die Hände
ins trockene Erdreich und legte eine dicke Knolle frei, die so
aussah, als ob sie tief in den Boden hineinreichen würde,
vielleicht an die zwei Meter. Er machte mit dem Grabstock weiter.
Staub und Erde wirbelten auf und blieben an seinen verschwitzten
Beinen kleben. Er wusste, wie er mit Maniok-Knollen umzugehen hatte.
Nachdem er die Knolle freigelegt hatte, würde er das essbare
Fleisch ablösen und den Rest der Knolle mit dem Stiel wieder
eingraben, damit sie nachzuwachsen vermochte. Außerdem hegte er
durch das Graben den Maniokstrauch: Indem er den Boden lockerte und
lüftete, wurde das Nachwachsen beschleunigt.
    Seine Mutter würde sich

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