Ewig Böse
wummernd, drängend, ein urtümlicher Angriff hämmernder Bässe aus dem Hinterhalt, ein unaussprechlicher verbaler Überfall, doch sobald er vorbei ist, will man mehr davon haben.
Die Linse streicht über eine schöne Schwarze, die die Arme um den Hals eines überlangen Weißen geschlungen hat, möglicherweise ein Spieler der Lakers; dann die Wand hoch, über die Decke und wieder herunter, richtet sich auf einen Mann, der völlig fehl am Platz wirkt.
Er ist älter als die anderen, ernsthafter, tanzt nicht richtig, sondern bewegt sich in kurzen, schnellen Hüpfern, rollt mit den Schultern und stampft im Rhythmus der Musik. Er ist angespannt, sein Mund verkniffen. Er trägt eine altmodische, orange-braune Lederjacke. Seine Wangen sind teigig, und Schweißtropfen quellen unter seinem affigen Haar und den hellen, femininen Augenbrauen hervor. Erst jetzt sehe ich, dass es Rick Butterfield ist.
Ohne Schnurrbart, er sieht zehn Jahre jünger und fünfundzwanzig Kilo leichter aus – die letzten Monate sind ihm nicht gut bekommen. Er streckt die Hand aus und zieht die Person mit der Kamera näher zu sich heran. Eine Frauenstimme äußert etwas wie: »Komm schon, Baby, lass es raus!« Das ermutigt ihn, und ich vermute, die Frau mit der Kamera ist seine Begleiterin. Er zieht die Jacke aus, schaut sich um, zuckt die Achseln und lässt sie zu Boden fallen. Er ist ein schauderhafter Tänzer, aber seine Augen, die Ausgelassenheit, mit der er sich dem Hämmern und Wummern von Ghosts unnachgiebigem Beat hingibt, lässt mich beinahe glauben, dass er sich wirklich amüsiert und nicht nur ihretwegen so tut.
Der Song endet, als wäre das Aufnahmegerät auf einem Lastwagen montiert gewesen, der mit einer Ladung Dynamit gegen eine Mauer donnert. Funken regnen herab. Die Kamera fährt hoch wie ein Periskop und schwenkt zur Bühne, um den Star einzufangen. Ghost hat den Fuß auf einen Verstärker gesetzt und beugt sich vor wie George Washington bei der Überquerung des Delaware, das Mikro in der Hand mit dem Messingschlagring, den Arm gerade nach vorn gereckt, ein Salut ans Publikum. Er hält den Kopf gesenkt. Sein Muskelshirt hat er gleich zu Beginn der Zugabe in Fetzen gerissen, das weiß ich, und jetzt trägt er nur seine rote Trainingshose und die roten Turnschuhe, sein Markenzeichen. Sein Oberkörper wirkt wie aus Elfenbein gemeißelt, der Schweiß fließt in Strömen über das Emperor of Rap -Tattoo, das seine Bauchmuskulatur ziert.
Er ist strahlend, schön, furchteinflößend.
Als er aufblickt und in die Kamera sieht, direkt ins Objektiv, strömen ihm die Tränen aus den geröteten Augen. Es sind keine Tränen der Trauer. Sie erzählen von Zorn und Liebe und der Wildheit, die er den Göttern geraubt hat. Sie berichten von Armut und Ruhm, von Schwarz und Weiß, Sex und Tod, Lust und Sucht, von Hunger und seinem grenzenlosen Appetit auf ihre Liebe zu ihm. Er weint, weil er nicht anders kann. Ein Ozean an Emotion, der von ihnen zu ihm und wieder zurück fließt. Es zerreißt ihn bei jedem Auftritt. Er starrt in die Linse und fordert jeden heraus, seinem Blick standzuhalten, versuch es nur, Motherfucker, das schaffst du nie, nicht mit mir. Dazu musst du mich schon erst umbringen, und wenn du das versuchst, nagele ich dich ans Kreuz.
Dann lächelt er und lässt den Kopf auf die Brust fallen, während der Raum im Dunkel versinkt.
Der Applaus ist wie ein Vulkanausbruch.
Rick, eine Silhouette in der Dunkelheit. Er starrt mit offenem Mund auf die Stelle, an der Ghost eben noch stand, die Augen glasig und weit aufgerissen, sehnsüchtig, er will mehr von etwas haben, von dem er nicht ahnte, dass er es hier finden würde. Er ist hingerissen. Etwas hat ihn berührt.
Die Kamera bleibt noch einen Takt lang auf ihm, dann wird das Bild schwarz.
Einen Sekundenbruchteil später finden wir uns auf der Straße wieder. Die Menge hat sich schon fast zerstreut. Es könnte die Melrose oder der Sunset sein, definitiv jedenfalls Los Angeles. Ah – es ist das El Rey Theatre auf dem Wilshire. Ich erkenne das Schirmdach. Ghost hatte dort zwei Auftritte, als Gefälligkeit für eines der Studios. Ich selbst bin im selben Moment höchstwahrscheinlich in einem der Räume der Band hinter der Bühne und sitze mit einer Flasche Bier auf der Couch und schwatze mit den anderen Mitgliedern unserer Truppe. An das Datum kann ich mich nicht erinnern, auch nicht daran, was ich anschließend machte. Es war jedenfalls gegen Ende meiner Zeit bei Ghost, so dass ich
Weitere Kostenlose Bücher