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Ewig Böse

Ewig Böse

Titel: Ewig Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ransom
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letzten fünf aufgelegten Anrufe.
    9:12
    9…
    Der Apparat glitt mir aus der Hand, und das Wohnzimmer füllte sich mit dunklen Flecken, während ich am Rand einer Ohnmacht stand. Der Klang des zu Boden polternden Telefons schien mich aus einem langen, blechernen Korridor zu erreichen:
    9:12 war der Zeitpunkt, an dem ich die Nachricht von Stacey erhalten hatte, an ihrem letzten Tag, wenige Minuten, bevor sie überfahren wurde.
    Mein Kopf knallte gegen den Holzboden, und ich überließ mich der Dunkelheit.
    Ich war einmal dabei, als Ghost seinen Jüngern eine unheimliche Geschichte erzählte.
    In der achten Klasse, so begann er, hätte er in der Schulbibliothek alte Ausgaben des National Geographic für einen Archäologieaufsatz durchforsten müssen. Der Artikel, für den er sich entschied, bezog sich auf einen zweitausend Jahre alten Tonkrug, der irgendwo im ehemaligen Mesopotamien ausgegraben worden war. Eingepackt in einer strohgepolsterten Kiste, in einem versiegelten Raum innerhalb eines größeren Komplexes, war der Krug auf wundersame Weise beinahe perfekt erhalten, seine fein geriffelte Oberfläche fast makellos, wie die Rillen einer Schallplatte, die nie aus der Hülle genommen wurde.
    Ghost berichtete von einer Hypothese aus dem Bereich der akustischen Archäologie. Die Wissenschaft wusste seit einiger Zeit, dass bestimmte Kammern – mittelalterliche Steinheiligtümer, primitive Höhlen und dergleichen – so gebaut waren, dass sie die Akustik in ihrem Inneren verstärkten. Das Team glaubte, eine solche Kammer entdeckt zu haben, und dass sie, durch die Drehscheibe und sonstigen Töpferwerkzeuge, die zur Herstellung des Krugs verwendet worden waren, ein idealer Kandidat für ein besonderes Experiment war. Dabei ging es darum, zu beweisen, dass Fragmente der Raumklänge in der Umgebung sich bei der Herstellung dem Tonkrug eingeprägt hatten, sozusagen in ihm aufgezeichnet waren.
    Um diese Hypothese zu überprüfen, setzten sich die Archäologen mit einem Team von Hi-Fi-Fans zusammen, Experten für die gerade im Entstehen begriffene Compact Disc und Lasertechnologie. Dieses zweite Team konstruierte die sehr komplizierte Version eines CD -Players mit selbstjustierendem Laser. Unter Einsatz ihrer kollektiven Kenntnisse der Kultur, des Klimas, der Landschaft, der verwendeten Materialien und der Töpferkunst der betreffenden Ära richteten sie den Laser auf den Tonkrug aus – der sich auf einer neuen Töpferscheibe drehte, die so gebaut war, dass sie die Ungenauigkeiten des Originals imitierte – und begannen mit der digitalen Übersetzung. Im Erfolgsfall konnten sie vielleicht das Quietschen der sich drehenden Töpferscheibe hören, den Klang eines Hammers oder anderer Werkzeuge, das Stampfen von Kamelhufen vor der Töpferwerkstatt.
    Das Stampfen von Kamelhufen hörten sie nicht.
    Doch nachdem sie Hunderte von Tests bei verschiedenen Drehgeschwindigkeiten durchgeführt hatten, gelang es ihnen, die zweitausend Jahre alten Geräusche zu entschlüsseln, aufzuzeichnen und wiederzugeben. Was Ghost daran besonders fasziniert hatte, war nicht die Möglichkeit, Jahrtausende in die Vergangenheit zu lauschen, sondern das, worüber die Wissenschaftler dabei gestolpert waren. Während sie schweigend dastanden, kollektiv den Atem anhielten und zusahen, wie dieser uralte Krug sich in ihrem überfüllten Laboratorium voller Kabel und gläserner Trennwände drehte, drang aus ihren Kopfhörern das leise, aber unverkennbare Weinen einer Frau – offenbar das der Töpferin selbst. Nach achtzehn Sekunden wurde das Weinen von einer Männerstimme überlagert. Der Mann lachte unterdrückt auf eine Weise, die ein Teilnehmer an dem Experiment als hinterhältig und bedrohlich beschrieb.
    Wegen der begrenzten Größe und den Unvollkommenheiten in der Textur des Krugs gelang es den Wissenschaftlern nur, insgesamt zweiunddreißig Sekunden zufällig aufgezeichneten Tons zu rekonstruieren. In den letzten sieben Sekunden, unmittelbar, nachdem der Mann zu lachen begonnen hatte, verstummte das Weinen der Frau, als hätte sie überrascht bemerkt, dass sie nicht allein war. Dann folgte, wie es ein anderer Beobachter schilderte, ›ein Geräusch wie von zerreißendem Stoff, und dann eine Art nasses Schmatzen oder Gurgeln‹. Die entzifferte Tonspur endete natürlich nicht sanft ausgeblendet wie ein Song, sondern abrupt, als hätte jemand die Nadel von einer Schallplatte gehoben. Ein Team forensischer Experten wurde hinzugezogen, und eine

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