Ewig Böse

Analyse von Proben der verblassten braunen Streifen organischer Farbe auf dem Krug ergab, dass es sich um menschliches Blut handelte.
    »Das Forscherteam schien durch die Akustik der Zeit gereist zu sein, nur um Zeuge eines primitiven Beziehungsmordes zu werden«, schloss der Autor des Artikels.
    Da ich Ghost und seine Vorliebe kannte, die Details aufzubauschen, stimmte diese Geschichte wohl nur bis zu dem Punkt, als der Frau die Kehle durchgeschnitten wurde. Dennoch verfolgte sie mich, auch wenn er sie nicht einmal erzählt hatte, damit wir uns gruselten.
    »So werden Sie auch mal den Scheiß finden, den ich mache«, schloss Ghost, kurz bevor wir das Mittagessen beendeten und den Soundcheck fortsetzten. »In tausend Jahren kommt so ein Arsch aus dem Weltall zur Erde, buddelt die Zivilisation aus, die wir kaputtgemacht haben, und hört einen meiner Songs. Und da wird er verdammt viel mehr hören als bloß ’ne flennende Frau im Hintergrund. Er wird aus Der Quelle « – eines seiner selbst verliehenen Pseudonyme – »was über die Menschheit erfahren, und dann werden er und seine Alien-Kumpels wissen, was wir aus der Welt gemacht haben. Er wird kapieren, wie das Amerika des Ghost getickt hat.«
    Nach allem, was ich in West Adams erlebt hatte, fragte ich mich, ob eine Erklärung für die unheimlichen Vorgänge im Bereich der akustischen Archäologie oder einem vergleichbaren Forschungsfeld zu finden wäre. Irgendeine Nische zwischen Wissenschaft und dem Übernatürlichen. Wenn man bedenkt, dass jede CD , jede Platte und jeder heruntergeladene Song einen Schatten des Künstlers enthält, möchte man beinahe glauben, dass die Seele sich auf unendlich vielfältige Weise in zahllosen Orten einnisten kann, nicht nur im menschlichen Körper.
    Doch es gibt keine Kunst ohne Publikum. Der Zuhörer wird zum Komplizen, zum freiwilligen Teilnehmer, und sein Applaus ist die natürliche Antwort auf eine bestimmte Art der Übertragung von Energie, die Kraftquelle, die Künstler und Fan zusammenschweißt. Staceys Hasen waren in der Phantasie des Malers entstanden. Er oder sie übertrug die Vision auf eine Leinwand und rührte damit etwas in Staceys Herz an, so dass sie auch in ihr lebendig wurde. An wie vielen Morgen hatte sie sich vor den Bildern abgetrocknet, ihre Körperwärme auf sie abgestrahlt, tief in die Fasern der Leinwand? Hatte sie mit ihnen gesprochen? Unter der Dusche gesungen? Übertrug der Dampf des Duschwassers Partikel ihrer Haut auf die Leinwand?
    Gemälde, Bandaufzeichnungen, Unterschriften auf Papier. Der unbelichtete Film, die Augenmuschel eines Teleskops, die ausgetretenen Kratzer in den Bodendielen. CD s, mobile Speicher, rauchgeschwärzte Spiegel, die Einlagen alter Schuhe. Alles Gefäße, die Projektionen einfangen können. Was ist ein Haus anderes als ein großes Gefäß, eine blanke Vinylplatte, die darauf wartet, von der Aufzeichnungsnadel einer menschlichen Empfindung geschnitten zu werden? Eine Festplatte, die mit Software bespielt wird. Eine Ehe ist eine Oper, die über Wochen, Monate, Jahre hinweg geschrieben wird, ein Leben lang, wenn wir Glück haben. Wenn einer der Protagonisten verschwindet und die Zweitbesetzung für ihn einspringt, ist es doch logisch, dass die nächste Wiederholung, die Arie oder der gecoverte Song verfälscht klingt. Das Publikum merkt, dass etwas nicht stimmt, verloren gegangen ist, die Tonlandschaften von Kopf und Herz sich neu ordnen. Was wäre, wenn es gar nicht so lange dauert, seine Spuren in einem Haus zu hinterlassen? Was, wenn die Gefühle darin fiebrig hochkochten oder ein Unglück geschähe und es innerhalb eines Jahres dazu kommen könnte? Einer Woche? Durch einen einzigen Akt der Gewalt?
    Wenn ein wichtiger Mitspieler von der Szene abtritt, erlebt das Haus dann ein Vakuum und versucht, die Leere zu kompensieren? Wenn wir ein Haus zum allerersten Mal betreten – ob zu einer Dinnerparty bei Freunden oder mit einem Immobilienmakler, der uns herumführt –, spüren wir sofort seinen Charakter. Das ist ein warmes Haus, sagen wir. Oder: Dieses Haus verströmt Traurigkeit, Leere. Woher wissen wir das? Welcher Teil von uns stimmt sich mit solcher Sicherheit und so schnell auf ein Haus ein?
    Gefäße sind überall. Die Stimme deiner Frau auf der Mailbox. Die Vertiefungen im Schreibblock von ihrem letzten Brief. Die Datenbits einer gelöschten SMS , Spuren ihrer Fingerabdrücke auf der Tastatur, mit der sie sie getippt hat. Die Mulde in ihrem Kopfkissen. Die