Ewig Dein
als ein erotisches Angebot, und das merkte er natürlich.
Er: »Judith, das ist schwierig. Ich muss früh aufstehen.« – Sie: »Das kannst du, ich stelle dir den Wecker auf sechs. Ist sechs zu spät? Fünf?« – »Du, Judith, versteh mich richtig, wir kennen uns …« – »Ich verstehe dich richtig. Aber bitte versteh du mich auch. Ich kann heute Nacht nicht alleine sein, ich kann es nicht, ich – kann – es – wirklich – nicht!« Er sah sie verdutzt an. So jemand wie sie bekam in Filmszenen eine Minute später einen Nervenzusammenbruch. Wie sollte er dieses Phänomen seinen Fischerfreunden erklären?
Mehr aus Verlegenheit denn aus Kalkül begann sie ihn zu streicheln, zuerst leicht, dann etwas fester und nachhaltiger. Das machte sie so gut, dass er in jenen Körperregionen, wo wahre männliche Willensentscheidungen fallen, bald spürte, dass es doch schade wäre, jetzt zu gehen. »Übersiedeln wir ins Schlafzimmer?«, flüsterte sie. »Okay, wir übersiedeln«, erwiderte er.
3.
Chris besaß die männliche Fähigkeit, drei Sekunden nach einem Orgasmus einzuschlafen und den in Sekundenschnelle vollzogenen Übergang auch noch mit Schnarchgeräuschen zu quittieren. Zum Glück ebbten diese bald ab und gingen in friedliches Schnaufen über. Judith lag auf dem Rücken und schob seine schlaffe Hand vom Busen über den Bauch. So fungierte sein Arm als Sicherheitsgurt, der sie bis zum frühen Morgen schützen sollte.
Sie konzentrierte sich darauf, nur nicht an Hannes, den Türsteher und Alarmschlager, zu denken. Irgendwann müssen ihr dabei die Augen zugefallen sein. Als ihr das bewusst wurde, war dieser seltsame Klangteppich wieder da, der wie von schwingenden Blechplatten erzeugt schien. Danach setzten Flüstertöne ein, gefolgt von zischenden Lauten, wie schon die Nächte davor. Und dann wiederholte die unverwechselbare Stimme die ersten Worte ihrer gemeinsamen Begegnung im Supermarkt, diesmal ganz leise, nur für Judith hörbar, einzig für sie bestimmt: »Dieses Gedränge, dieses Gedränge, dieses Gedränge.« Sie blieb ruhig, bewegte sich nicht, atmete langsam. Sie wusste, welche Worte als Nächstes folgen würden. Sie war stolz darauf, dass er ihr nichts mehr vormachen konnte, dass sie ihn durchschaut hatte. Sie bewegte spöttisch ihre Lippen dazu: »Nochmals Verzeihung für den Tritt, nochmals Verzeihung für den Tritt, Verzeihung für den Tritt.« Sie spürte ein Kitzeln in ihrer Brust, bemerkte, dass sich ihre Mundwinkel nach oben spannten. Sie hatte das dringende Bedürfnis zu lachen, sie konnte sich kaum noch zurückhalten. War das nicht ein komisches Spiel? Wo war Hannes? Wo hielt er sich versteckt? Wo hatte er sein Quartier aufgeschlagen? Immer wenn sie ihn zu sehen glaubte, verschwammen die Bilder. Immer wenn sie nach ihm griff, wich er zurück.
Sie wollte ihren dröhnenden Kopf anfassen, den Schweiß von der Stirn wischen, aber ihre Hände blieben starr. Sie hörte sich selbst leise kichern. Sie versuchte sich aufzurichten. Doch da lastete ein Fremdkörper auf ihr, fixierte sie wie eine mächtige Klammer. Plötzlich war sie von Panik ergriffen. Hannes neben ihr im Bett. Wo waren sie? Im Hotelzimmer? Noch immer in Venedig? Noch immer ein Paar? Hat er es noch nicht kapiert? Weiß er es noch gar nicht? Sie bemühte sich, mit dem Bauch dagegen zu pressen. Doch je mehr sie sich anstrengte, desto schwerer wurde der Gegenstand auf ihr, drückte ihr in die Eingeweide, blockierte ihre Atemwege. Sie rang nach Luft, keuchte, spürte, wie ihre Schläfen heiß wurden. Jetzt musste sie handeln, bevor der Balken sie endgültig erdrücken würde. Hannes? Wie sagte er? Wie waren seine nächsten Worte?
»So was kann höllisch wehtun. So was kann höllisch wehtun. So was kann höllisch wehtun.« – Das war ihre eigene Stimme. Sie erschrak über die Lautstärke. Die tonnenschwere Last auf ihrem Bauch begann sich zu heben, holte zum Schlag aus. Mit beiden Händen packte sie die feindliche Waffe, führte sie zum Mund, spürte harten Widerstand an ihren Zähnen, salzigen Geschmack auf ihrer Zunge.
»Au. Bist du wahnsinnig?«, schrie er auf. »Was tust du da?« – Jetzt war sie hellwach. Von einer Sekunde auf die nächste vollzog sich in ihrem Kopf ein Programmwechsel. »Scheiße«, murmelte sie kleinlaut. Sie schaltete das Licht an. Chris blutete. Ihr Kiefer schmerzte. Sie sprang auf, rannte ins Badezimmer, holte ein feuchtes Handtuch, wickelte es um seinen Arm.
Chris kauerte im Bett, hatte den Mund offen und
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