Ewig
Leben aushauchen. Ich persönlich habe ja nie etwas auf diese Märchen gegeben, aber es scheint zu stimmen, dass dieser Rasputin ein Anhänger der Chlysten ist.«
Der Alte blickte überrascht auf. Was wusste dieser Duma-Abgeordnete von der Sekte? Er schaute nervös auf seine Armbanduhr, sie hatten nicht mehr viel Zeit. Trotzdem hakte er nach: »Wie kommen Sie darauf?«
»Na hören Sie, das liegt doch auf der Hand«, sprudelte es aus dem Politiker heraus. »Kennen Sie die Geschichte nicht? Eine gewisse Irina Nesterowna hat mit hundert Jahren Iwan Suslow geboren, wie ihr zuvor geweissagt worden war. Der bestürzte Pope verweigerte ihm die Taufe, und auch ein Pate fand sich nach langem Suchen erst sechs Wochen später.« Nervös wischte sich der Politiker die schweißnassen Hände an seinen Hosen ab. Dann fuhr er aufgeregt fort: »Die Chlysten deuten dieses Ereignis als die Erfüllung einer Prophezeiung des Propheten Esra. Suslow galt bei ihnen fortan als Christus, und der Frevler predigte auch als solcher. Als dieser Messias etwa dreiunddreißig Jahre alt war, erfuhr der Zar Alexej Michailovitsch von seiner Ketzerei und ließ ihn zusammen mit etwa vierzig Helfern im Dorf Pogostj festnehmen, verhören und foltern, allerdings ohne Erfolg. Und sie waren nicht die letzten, die nichts aus Suslow herausbekamen. Selbst der Patriarch Nikon und diverse Bojaren waren erfolglos und seine Lehre blieb weiter geheim.« Der Politiker schluckte und lockerte sich mit dem Zeigefinger den Stehkragen. »Die Legende besagt, dass selbst das Feuer des Scheiterhaufens ihm nichts anhaben konnte. Und nachdem er endlich seine Seele ausgehaucht habe, sei er kurze Zeit später seinen Leuten erschienen und habe weitergelehrt. Der Zar erfuhr von seinem neuerlichen Wirken und ließ ihn wieder foltern. Nachdem man ihm die Haut hatte abziehen lassen, kam eine seiner Anhängerinnen, eine Jungfrau, und wickelte den Geschundenen in ein reines Laken. Da sei das Wunder geschehen, dass das Laken an ihm anwuchs und zu menschlicher Haut wurde. Von diesen Dingen zeugen mehrere Lieder der Chlysten. Auf ungeklärte Weise kam Suslow frei und soll noch über dreißig Jahre lang in Moskau gelehrt haben. Nach seinem Tod ließ Suslow seinen Leib zurück, um als Fleisch gewordener Gottessohn ein Beispiel frommer Demut und Duldung zu geben …«
Die vier Männer in Feldgrau tauschten bedeutungsvolle Blicke, während der Superior die Augen verdrehte. »Und ein so gebildeter Mann wie Sie glaubt das allen Ernstes?«, fragte er den Politiker ruhig.
»Da, haben Sie das gesehen? Ihre Männer glauben das auch!«, kreischte Purischkewitsch.
Ohne eine Miene zu verziehen, schoss der Superior dem Abgeordneten gezielt durch die Schulter. Purischkewitsch sackte zusammen und verstummte.
»Noch jemand, der sich über alte Märchen so aufregt?«, fragte der Alte ruhig und blickte in die Runde. Niemand traute sich, sich zu rühren, alle blickten zu Boden. Da wandte er sich wieder Rasputin zu. Zweimal schlug er ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, damit er wieder zur Besinnung kam.
»Grigori Jefimowitsch, hörst du mich?«, sprach er ihn an. Der Geschundene nickte.
»Gut so. Hast du etwas von dem, von dem ich dir geboten habe, auf ewig zu schweigen, an diese Männer hier verraten?«, fragte der Superior mit Nachdruck. Rasputin schüttelte den Kopf.
»Dann ist es gut, mein Sohn. Bereust du alle deine Sünden, Grigori Jefimowitsch?«, fragte der Feldgraue sanft. Rasputin nickte.
»Ego te absolvo a peccatis tuis in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti. Du weißt, was ich nun tun muss, Grigori?«, flüsterte der Alte.
Rasputin nickte wiederum. Dann jedoch hob er den Kopf und blickte mit starren Augen weit, weit weg und röchelte: »Falls ich von gewöhnlichen Attentätern ermordet werde, besonders durch meine Brüder, die russischen Bauern, dann hast du, der Zar, nichts zu befürchten für deine Kinder. Sie werden über hunderte von Jahren Russland regieren. Falls ich jedoch von Bojaren, von Adligen, ermordet werde, falls sie mein Blut vergießen, dann werden ihre Hände fünfundzwanzig Jahre lang befleckt sein mit diesem Blut und sie werden mein Blut nicht abwaschen können. Sie werden Russland verlassen müssen, Brüder werden Brüder ermorden. Sie werden einander töten und sie werden einander hassen. Fünfundzwanzig Jahre lang werden keine Adligen mehr im Land sein.« Schweiß rann Rasputin über sein zerschlagenes Gesicht und seine Stimme wurde immer leiser. Doch er
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