Ewig
können.« Die Schwester lächelte verstehend. »Er schämt sich wahrscheinlich dafür.«
Berner überlegte kurz, dann fragte er: »Können Sie mir die Form der Narbe beschreiben?«
»Aber ja, ich habe mich selbst darüber gewundert, es sah aus, als habe ihm jemand die Kehle durchgeschnitten.«
Israelische Botschaft, Wien-Döbling/Österreich
V alerie Goldmann versuchte seit dreißig Minuten verzweifelt, Samuel Weinstein zu Hause telefonisch zu erreichen. Vier Anrufe später hatte der Militärattaché sich noch immer nicht gemeldet und langsam rann der jungen Frau die Zeit wie Sand zwischen ihren Fingern davon. Wagner und Sina waren auf dem Weg nach Chemnitz und ihr Zug würde um 14:00 Uhr am Hauptbahnhof ankommen. Sie saß noch immer in Wien, hatte weder den versprochenen Wagen gestellt bekommen, noch hatte Weinstein ihr die Waffe, die Munition oder all die anderen Dinge auf ihrer Liste ausgehändigt.
Sollte sie den Botschafter aufwecken? Das Diner mit ihm und seiner Frau gestern Abend hatte bereits in einer sehr freundschaftlichen Atmosphäre begonnen. Goldmann hatte viel von ihrer Familie erzählt und nach einigen Minuten hatte sich herausgestellt, dass der Botschafter ihre Eltern kannte und man eine Handvoll gemeinsamer Freunde in Tel Aviv hatte. Von da an waren alle Förmlichkeiten vergessen, Valerie wurde wie eine Tochter behandelt, die nach langer Zeit wieder einmal auf ein Wochenende nach Wien gekommen war.
»Oded Shapiro hat mich erst vor wenigen Tagen angerufen und mir Ihren Besuch in Wien angekündigt«, meinte der Botschafter schließlich nach dem Kaffee und der hervorragend frischen Sacher-Torte, deren blütenweißer Schlagobers-Gupf für Valerie wie ein Kalorien-Mount-Everest auf einem Schokolade-Kontinent wirkte. Sie aß zwei Stück der köstlichen Wiener Spezialität und hatte den restlichen Abend ein schlechtes Gewissen.
»Er tat ziemlich geheimnisvoll, aber das gehört bei ihm ja sicher einerseits zum Geschäft und andererseits zur Gewohnheit«, fuhr der Botschafter fort und zündete sich hingebungsvoll eine Zigarre an, deren süßlicher Rauch sich bald Schichtenweise über den gesamten Salon verteilte. »Nach und nach kam in unserem Gespräch eine Geschichte heraus, die mir so unglaublich vorkam, dass ich mich fragte, ob der Metsada diesmal nicht die Phantasie durchgegangen war.«
Der Botschafter blies in die Glut der Zigarre und schaute Goldmann über die rotscheinende Spitze hinweg an. »Verstehen Sie mich bitte recht, Major. Wir haben seit Bundeskanzler Bruno Kreisky ausgezeichnete Beziehungen zu Österreich und es würde mich persönlich sehr treffen, wenn Sie durch unbedachte Aktionen dieses Verhältnis gefährden würden. Wien ist nicht der Sinai.«
Valerie hielt seinem Blick stand und überlegte einen kurzen Moment, dann entgegnete sie: »Exzellenz, das Institut hat mich sicherlich nicht für diesen Einsatz ausgewählt, weil ich für meine unüberlegten Aktionen bekannt bin. Ich bin mir meiner Verantwortung durchaus bewusst, aber vergessen Sie bitte nicht, dass wir nicht die einzigen sind, die an diesem Rennen um Friedrichs Geheimnis teilnehmen. Noch dazu haben die anderen bereits einen großen Vorsprung und sind ganz und gar nicht zimperlich, wenn es darum geht, ihre Interessen durchzusetzen und ihr Ziel zu erreichen. Meine Anweisung von Oded Shapiro war ganz klar: beobachten, bei Gefahr eingreifen und im Endeffekt dafür sorgen, dass es entweder wir sind, die als erste das Ziel erreichen oder …«
»Oder?«, fragte der Botschafter leise.
Valerie schaute ihm ruhig in die Augen. »Oder dafür sorgen, dass es niemand erreicht. Um jeden Preis.«
Der Botschafter hatte nicht mit der Wimper gezuckt. Er blickte Goldmann skeptisch an. »Glauben Sie an dieses große Geheimnis, Major, das unsere Welt auch heute noch von Grund auf verändern würde? Glauben Sie, dass es überhaupt existiert, kein Hirngespinst eines alten Kaisers oder von ein paar abenteuerlichen Suchern zweifelhafter Abstammung ist? Glauben Sie daran, dass es überhaupt etwas zum Entschlüsseln gibt?«
Valerie beugte sich vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf ihre Knie. »Exzellenz, ich kann mir in diesem Fall den Luxus des Glaubens nicht leisten und Sie sollten das ebenfalls nicht. Denn egal woran Sie glauben, ganz gleich wie gut die Verhältnisse mit Ihrem Gastgeberland sind, wenn wir uns irren und einem falschen Glauben unterliegen, dann wird bald keine Botschaft mehr hier existieren.«
Der Botschafter
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