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Ewig

Ewig

Titel: Ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer , David G. L. Weiss
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wir dann das Rätsel nicht für ihn lösen würden? Ihn für verrückt hielten und nicht einmal reagieren würden? Oder lässt er uns absichtlich im Dunkeln? Das gefällt mir alles nicht, Paul, und außerdem sind mir zu viele Menschen hier …« Sina strich sich über den Bart und schaute sich im Dom um, wo wieder eine Touristengruppe nach der anderen durchgelotst wurde. Die Führungen waren zu Ende und die Treppen spien Massen an Menschen in das Mittelschiff der Kirche aus.
    »Wie auch immer, mach doch, was du meinst«, sagte Wagner, »ich werde auch noch die Details an den Seiten fotografieren«, und er begann sofort damit.
    Ein alter Mann, der ihnen bis dahin aufmerksam zugesehen hatte, trat nun näher und wandte sich an Sina, der gerade beschlossen hatte, den Dom zu verlassen, seine Jacke zuzog und in Richtung Ausgang aufbrach. Wagner fotografierte einen kleinen Mönch, der so lebensecht mit einer Bibel in der Hand auf einem Marmorvorsprung saß, dass der Reporter erwartete, ihn aufstehen und davongehen zu sehen.
    »Wussten Sie, dass Friedrich schon dreißig Jahre vor seinem Tod den Bau seines Grabes beginnen ließ?« Die Augen des alten Mannes leuchteten. »Ich habe mich lange Zeit mit diesem steinernen Rebus beschäftigt. Faszinierend, glauben Sie mir …«
    Georg Sina hielt inne und blickte den Mann interessiert an. Vielleicht blieb er doch noch ein wenig in der Kirche. »Dann sind Sie vielleicht genau der, den wir suchen«, sagte er vorsichtig, überlegte und streckte dann dem alten Mann seine Hand entgegen. »Mein Name ist Sina. Wer sind Sie?«
    »Professor Sina? Es ist mir eine Ehre, ich habe schon so viel von Ihnen gehört, aber in den letzten Jahren ist es ruhig um Sie geworden.« Der alte Mann legte den Kopf schief. »Mein Name ist Mertens, Hans Mertens. Ich wohne nicht weit entfernt von hier und mein täglicher Spaziergang führt mich schon aus Gewohnheit immer zum Dom und zu diesem Grab im Apostelchor. Ein wunderbares Kunstwerk …« Der alte Mann stützte sich mit beiden Händen auf die Absperrung. »Das ist das bedeutendste spätgotische Hochgrab, das es in dieser Form nördlich der Alpen noch gibt. Die Steinmetze und Bildhauer haben mehr als fünfzig Jahre daran gearbeitet. Ursprünglich hätte es in Wiener Neustadt aufgestellt werden sollen, in der Burgkirche des Kaisers, es kam aber dann doch nicht dazu. Friedrich wollte wohl im Stephansdom begraben werden.« Mertens zwinkerte Sina zu. »Na, wenn ich die Wahl hätte …«
    Als Sina lächelnd nickte, fuhr der alte Mann fort: »Haben Sie das Halbrelief des Kaisers auf dem Deckel des Grabes gesehen? Friedrich ist im vollen Krönungsornat, mit authentischen Gesichtszügen, ganz realistisch dargestellt. Seine Hände sind die eines alten Mannes, mit Sehnen und Adern, die hervortreten. Die Bildhauer haben nichts idealisiert und das ist für diese Zeit bemerkenswert.« Die Miene des alten Mannes drückte Ehrfurcht aus. »Aber noch interessanter ist, dass der Kaiser zwar liegt, aber die Augen geöffnet hat und sein rechtes Bein hebt, so als wollte er aus seinem Grab steigen. Er blickt auch nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegen. So als käme die Kraft zur Auferstehung von dort.«
    Wagner war mit den Aufnahmen fertig und trat neben die beiden Männer. Während er die Fotos auf seiner Kamera kontrollierte, fragte er, ohne aufzublicken: »Wer ist eigentlich der Heilige über dem Kopf von Friedrich?«
    Mertens antwortete wie aus der Pistole geschossen. »Das ist der Lieblingsheilige des Kaisers, der heilige Christophorus. Nur eine von mehr als zweihundertvierzig Figuren auf dem Grab, von den viele Tieren und Fabelwesen ganz zu schweigen.« Sina stellte etwas umständlich seinem Freund Hans Mertens vor, der auf den Deckel deutete.
    »Haben Sie die Buchstaben AEIOU auf dem Spruchband gesehen? Alle glauben immer noch, es sei eine Staatsdevise gewesen, ein Leitspruch Österreichs. Aber ich habe mich lange und intensiv damit beschäftigt. Es ist ein höchstpersönliches, mystisches Zeichen Friedrichs, dessen Bedeutung bis heute niemand wirklich entschlüsseln konnte.« Mertens dozierte lächelnd weiter. »Man hat ihn damals nicht verstanden und heute ist es nicht besser. Die Glanzlosigkeit und Mühseligkeit seiner Politik wurde schon zu Friedrichs Lebzeiten mit einer Mischung aus Verachtung und verhaltenem Erstaunen über seine Zähigkeit und rätselhafte Unbesiegbarkeit kommentiert. Er bekam den Spottnamen ›des Römischen Reiches Erzschlafmütze‹,

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