Ewige Versuchung - 5
Nachricht an diverse Kontakte in ganz Europa geschickt, um die anderen Vampire zu sich zu rufen. Folglich wären sie bald alle auf der Insel versammelt, und sollten sie geschlossen gegen Rupert antreten, ehe sämtliche Vorbereitungen getroffen waren, hatte er keine Chance.
Zum Glück waren Vampire weniger klug als stark. Ja, sie würden seinen Plan, sie in Italien abzufangen, vereiteln, aber diesen konnte er mühelos abwandeln. Seit Monaten bewies er seinen weit überlegenen Intellekt, blieb ihnen stets einen Schritt voraus. Jetzt brauchte er einen schärferen Verstand denn je, wollte er Erfolg haben. Und den musste er haben.
Hinterher wäre es gleich, sollte Payen Carr kommen und Blut sehen wollen. Dann wäre Villiers bereit.
Villiers besäße die Kraft, Carr wie auch alle anderen Vampire buchstäblich in Stücke zu reißen.
Die Frauen verursachten Vivian Unbehagen. Während der letzten zwei Tage, seit Temple beschlossen hatte, ihr ihre Kleider zurückzugeben und sie frei in der Schule herumwandern zu lassen, hatte sie immerfort neugierige Blicke und aufgeregtes Getuschel ertragen müssen.
Sie fühlte sich viel zu sehr an ihre Jugend erinnert, was ihr gar nicht lieb war.
Und so wurde die ohnehin schon unangenehme Situation noch bedrückender. Nicht dass es unangenehm gewesen wäre, mit Temple zusammen zu sein – ganz im Gegenteil: Zumindest der physische Aspekt war alles andere als das. Dieser Mann spielte mit ihrem Körper, als wäre sie für seine Hände geschaffen worden. Das war nicht das Problem. Was sie plagte, waren ihre entsetzlichen Schuldgefühle.
Sie durfte die Berührungen des Vampirs nicht genießen. Es war falsch von ihr, seine Liebkosungen und freundlichen Gesten zu mögen, denn zweifellos tat er alles bloß, um sie von ihrem Auftrag abzulenken. Trotzdem genoss und mochte sie alles, was er mit ihr tat, ja, sie verzehrte sich danach. Es war beinahe schmerzlich, längere Zeit von ihm getrennt zu sein. Was stimmte nicht mit ihr, dass sie ein solches Verlangen nach ihm hatte?
Nun, sollte er ruhig glauben, dass es ihm gelänge, sie abzulenken. Wenn er meinte, er besäße die alleinige Macht, umso besser. Dieses Spiel beherrschte sie auch. Und sie wusste, dass er sie ebenso anziehend fand wie sie ihn. Somit verfügte sie ebenfalls über einige Macht, und das durfte sie nicht vergessen. Gleichzeitig musste sie einen klaren Kopf behalten und an ihre Loyalität gegenüber Rupert denken. Was Temple in ihr weckte, waren keine Gefühle, sondern pure Lust, sonst nichts.
Heute war der erste Tag, an dem er schlief, statt mit ihr durch die Academy zu ziehen. Solange die schweren Vorhänge geschlossen waren, blieb er vor den gefährlichen Sonnenstrahlen geschützt und konnte überall hingehen, wo er wollte. Es war gut, zu wissen, dass sogar er bisweilen ausruhen musste.
Er vertraute also darauf, dass sie nicht weglief, während er schlief. Nicht, dass er es gesagt hätte. Vielmehr war es eine stillschweigende Übereinkunft zwischen ihnen. Falls sie dennoch beschloss, fortzulaufen, konnte er nichts dagegen tun. Am helllichten Tag war er außerstande, sie aufzuhalten. Aus Gottes Angesicht verstoßen, hieß es in der Legende, würde die Sonne ihn qualvoll verbrennen und zu einem Haufen Asche verwandeln.
Bei diesem Gedanken erschauderte Vivian, denn es schien ihr ein wenig überzogen. Und doch implizierte es auch, wie gefährlich Vampire waren. Wie böse sie sein mussten, dass Gott sich weigerte, Notiz von ihnen zu nehmen. Was wiederum ihre Faszination von Temple besonders abstoßend machte, nicht wahr?
Wäre ihre Pflicht gegenüber Rupert nicht, würde sie sehr wohl an Flucht denken. Nur käme sie nicht weiter als bis zum Strand. Sofern sie dort niemanden mit einem Boot antraf – oder zuvor entsprechende Arrangements getroffen hätte –, konnte sie nicht von der Insel entkommen, es sei denn, sie wollte ans Festland schwimmen. Nur leider war sie keine so gute Schwimmerin.
Vom Salonfenster aus blickte sie auf das üppige Grün hinaus, auf die steilen Klippen und den wilden Ozean. Vivians Gedanken waren ein heilloses Durcheinander. Sie wusste, was sie zu tun hatte, was das Richtige war; und dennoch redete eine Stimme in ihrem Innern ihr beharrlich ein, dass es falsch war. Ganz und gar falsch. Dass es einen Weg geben musste, alles zu beenden, damit niemand leiden musste.
Solche Gedanken mehrten ihre Scham noch. Sie verdankte Rupert ihr Leben, und wie vergalt sie es ihm? Mit Zweifeln. Wie dumm sie war,
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