Ewiger Schlaf: Thriller

überdecken – etwas, dem sie sich auf andere Art nicht stellen können. Das Zufügen von Schnittwunden war in der Regel eine spätere Phase dieses Phänomens. Es begann häufig damit, dass die Betroffenen sich kratzten, den Kopf auf den Boden schlugen oder sich an den Haaren zerrten. Mallory hatte sich noch an den Haaren gezerrt, als sie bereits damit angefangen hatte, sich zu schneiden – als eine Art öffentlicher Ersatz für das blutige Ritual, das ihr Erleichterung verschaffte, wenn sie allein war.
    »Ich wollte dir das nicht zeigen«, sagte Eve leise.
    Waters konnte nicht sprechen. Der Anblick der Narben hatte einen Teil seines Nervensystems gleichsam lahm gelegt. Er konnte nicht verarbeiten, was er gesehen hatte. Ein Mann mit ein bisschen Verstand würde davonrennen, aber wie konnte er vor etwas fliehen, das sich in seinem Kopf abspielte? Dem Wissen konnte man nicht entkommen, es war unwiderruflich. Der Anblick der Narben hatte sein Zeitempfinden durcheinander gebracht, sein Gefühl für die Vergangenheit und für die eigene Identität.
    »Johnny?«
    Er drehte sich um und ließ die Beine vom Bett gleiten. Bevor er aufstehen konnte, warf Eve die Arme um ihn und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Ihre Brüste drückten gegen seine Schulterblätter, und ihre Stimme gurrte in sein Ohr.
    »Musst du wirklich gehen?«
    »Ja.«
    Sie leckte seinen Nacken; dann glitt ihre Zunge hinter sein Ohr. » Willst du gehen?
    Ihre Zunge fuhr in sein Ohr, dann verschwand sie wieder. Trotz des Irrsinns der Situation – oder vielleicht gerade deswegen – fühlte er seine Erregung zurückkehren. Sie ließ ihn los und rückte auf dem Bett nach hinten. Er drehte sich um und sah sie einen Meter hinter sich knien. Ihre Augen glühten.
    »Komm her«, sagte sie.
    »Ich muss gehen.«
    »Nein. Du brauchst mich.«
    Ihr Körper schien eine Art Magnetfeld zu besitzen. Und obwohl er versuchte, nicht hinzusehen, schienen die kleinen Narben auf ihren Oberschenkeln zu leuchten wie frische Wunden. »Ich kann das nicht tun.«
    Sie nahm seine Hand und zog ihn zu sich, bis er die Beine wieder aufs Bett hob. »Mach so wie ich«, sagte sie und zerrte an seinem Handgelenk.
    Er kniete sich hin.
    Sie beugte sich vor und küsste ihn, während sie mit den Fingern sanft über seine Brust und hinunter zu seinem Bauch strich. Er fühlte, wie er wieder anschwoll.
    »Eve ...«
    »Sag das nicht«, flüsterte sie und nahm ihn in die Hand.
    »Sag was nicht?«
    Sie schloss die Augen. »Diesen Namen. Ich höre ihn den ganzen Tag. Nicht von dir ... bitte.«
    Plötzlich drehte sie sich um, und er blickte auf ihren schmalen Rücken und die Furche ihres Gesäßes. Dass ihre Hände plötzlich verschwunden waren, ließ ihn erzittern vor Verlangen, in ihr zu sein.
    »Erinnerst du dich?«, fragte sie.
    Sein Gesicht glühte, er war wie gelähmt.
    Eve glitt nach hinten und streckte die Hand aus, während sie auf ihn zukam. »Du weißt, was mir gefällt.« Sie nahm seine Hand und zog seinen Arm über ihre Schulter; dann lehnte sie sich auf ihn. »Und du weißt, was ich brauche.«
    »Eve ...«
    »Pssst.« Sie warf sich nach vorn und zog ihn über ihren Rücken, während sie sich auf alle viere kniete. »Du erinnerst dich«, sagte sie, ihre Stimme klang jetzt rau. »Komm, Johnny.«
    Ein Schweißfilm überzog sein Gesicht, seine Schläfen waren eiskalt, und sie drückte sich nach hinten gegen ihn und ließ keinen Zweifel, wo sie ihn wollte.
    »Bist du sicher?«
    Sie drehte sich um und sah ihn an. Wissen stand in ihren Augen, und ein stilles Lächeln lag auf ihren Lippen. »Ich bin ganz entspannt. Tu es.«
    Er schloss die Augen und gehorchte.
    Es dämmerte schon, als er den Land Cruiser aus der kleinen Kiesstraße auf die Wall Street lenkte. Kurz vor dem nächsten Häuserblock warf er einen Blick in den Innenspiegel und sah ihren schwarzen Lexus aus der Einfahrt auf die Straße rollen. Er schaute auf sein Mobiltelefon und überlegte kurz, ob er zu Hause anrufen sollte. Rose würde schon gegangen sein, und Lily und Annelise würden in der Küche sitzen, über Hausaufgaben sprechen und sich fragen, wo Daddy war.
    Das fragte Daddy sich auch.
    Seine Arme und Beine fühlten sich schwach und zittrig an. Erinnerungen an die letzte Stunde mit Eve blitzten vor ihm auf wie Flammen in der Dunkelheit und blendeten alle anderen Gedanken aus. Nach und nach kehrten sie zu ihm zurück, wie schnelle Schnitte in einem Film. Ihr Hals, von einem Ring aus Schweißperlen gesäumt ... ihre Hüften,