Ewigkeit
herankamen, fühlte sie sich bäuerlich in ihrer Harmlosigkeit. Die Stadt, jetzt eine greifbare, stark riechende Präsenz – dickes scharfes Brennöl, milde flatternde Dampfwolken, stinkender Pferdemist, ungewaschene Massen von Reisenden und Kaufleuten –, konnte sie ganz verschlingen und zerkauen, ohne irgendwie zur Rechenschaft gezogen zu werden. Zum erstenmal empfand Rhita akut ihren Mangel an Macht. Ihre Großmutter hatte immer so selbstsicher gewirkt. Wie konnte sie ihr möglicherweise nacheifern angesichts eines so ungeheuren, überwältigenden Ortes?
Rhita und Lugotorix stellten sich dem Fahrer vor, der seinen Glimmstengel an einem dreckigen Kotflügel ausdrückte, den Stummel in eine schmierige Hosentasche steckte und auf den erhöhten Vordersitz kletterte. Sie stiegen ein. Mit Quietschen und Stoßen quälte sich der Wagen mit ihnen über einen breiten Boulevard, der von alten Marmorsäulenreihen gesäumt war. Dann wandte er sich nach links in einen hohen marmornen Torweg und brachte sie auf das Gelände des Mouseions, der großen Bibliothek und Universität von Alexandreia.
»Sie ist eine sehr hübsche junge Frau«, sagte der Bibliophylax des Mouseions und schob seinen niedrigen Schemel vor der Königin zurecht. »Sie sieht ihrer Mutter ähnlicher als ihrer Großmutter, aber ihr früherer Erzieher versichert mir, daß sie der Sophe Patrikia gleichkommt. Sie ist im Hafen mit einem großen nordischen Scheusal angekommen, einem Diener, wie meine Kundschafter sagen, und wird noch in dieser Stunde in ihrer zeitweiligen Unterkunft sein.«
Kleopatra die Einundzwanzigste hob ihren kurzen und stämmigen Leib auf dem informalen Thron. Die Narbe, die sich von der linken Schläfe bis zur rechten Wange hinzog, die Nasenwurzel entstellte und ein Auge halb verschloß, war vor ihrer hellen und sonst glatten Haut wie eine rosafarbene Hülse. Die Königin hatte wenig von der Schönheit der Jugend. Dafür hatten die libyschen Attentäter vor zwanzig Jahren gesorgt bei ihrem Staatsbesuch in Ophiristan. Da sie kein Interesse mehr an Liebhabern hatte – sie hatte ihre drei Favoriten an jenem verhaßten Tag verloren –, lag ihr nichts mehr an ihrem Aussehen. Kleopatra war bloß dankbar, daß sie noch ihre Gesundheit und einen gesunden, agilen Verstand hatte.
Der berüchtigte trockene Sonnenschein von Alexandreia strich über den abgetretenen weißen Marmor des Innenhofes der königlichen Wohnung in einem goldenen Streifen und berührte den linken Schuh der Königin, womit er einen nicht bemalten, aber fein manikürten Zeh betonte. Sie sagte: »Du weißt, daß ich diese Sophe über Vernunft geduldet habe.« Ihr Großvater hatte beschlossen, daß Patrikia Luisa Vaskazya auf Rhodos eine Akademeia gründete. Diese, benannt nach einer Mathematikerin, von der niemand in Alexandreia jemals gehört hatte, hatte in den letzten fünfzig Jahren mit dem Mouseion des Kallimachos hinsichtlich der Finanzierung von Forschungen in Wettstreit gelegen und in der Mehrheit der Fälle substantielle königliche Preise erhalten. Aus der Akademeia von Rhodos kamen nützliche und sogar aufregende Arbeiten; aber jedermann im Palast – und in einem großen Teil der populären Presse – wußte, daß die höchste Leistung der Sophe gewesen war, einen Weg der Rückkehr in ihr Heim zu finden. Die meisten hatten sie für reichlich verrückt gehalten.
»Du äußerst eine königliche Meinung, meine Königin.«
»Sei jetzt offen mit mir, Kallimachos!«
Die syrupartige Miene des Bibliophylax wurde sauer. »Ja, meine Königin. Du hast sie auf Kosten weitaus wertvollerer Gelehrter bevorzugt mit mehr formalem Hintergrund und nützlichen Vorschlägen.«
Sie lächelte. Dies vom Bibliophylax zu hören, ließ es weniger wahr erscheinen. »Niemand im Mouseion hat soviel für Mathematik und Rechenkunst geleistet. Für Kybernetik«, fügte sie hinzu und sprach das Wort so aus, wie die Sophe es getan hätte. Sie spielte mit dem Zeh im Sonnenschein, als ob er ein Wasserstrahl wäre. Für einen Moment entführten sie die einfache Farbe des Sonnenlichts und die trockene, kühle Meeresbrise von der Realität. Sie schloß die Augen. »Sogar eine Königin braucht ein Hobby«, murmelte sie.
Kallimachos bewahrte respektvolles Schweigen, obwohl er noch viel mehr zu sagen hatte. Die Liga der Mechanikoi der Oikoumene hatte zwei Wochen zuvor dem Palast ihre Pläne zur Aufrüstung unterbreitet. Die Rebellenregierung von Nea Karchedon jenseits des Atlantischen Ozeans hatte
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