EwigLeid
Dem Strahlen seiner Augen nach zu urteilen, ja. „Herzlichen Glückwunsch.“
„Danke, Ma’am.“
Mansfield streifte Latexhandschuhe über und griff nach seinem Spurensicherungskoffer und der Kamera. „Wie ich höre, sieht es schlimm aus.“
„Das kann man wohl sagen.“
Carrie sah Jase an. „Hat Officer Gordon dir berichtet?“
„Ja. Ich sehe mir jetzt die Leiche an, dann können wir Meinungen austauschen.“
„Schön. Ich warte beim Wagen. Schrei, wenn du mich brauchst, okay?“ Carrie machte sich auf den Weg zurück zur Straße.
Knapp eine Minute später hörte sie Mansfield nach Luft schnappen, dann fluchen. „Herr im Himmel!“, rief er aus. Dann hörte sie ein Würgen, als der gestandene Polizist seinen Magen entleerte.
„Sie hat wohl Nerven wie Drahtseile. Nichts kann sie umhauen, wie?“ Carrie musste über die Worte des Forensikers schmunzeln.
Falls Jase auf Mansfields Frage antwortete, hörte Carrie es jedoch nicht. Doch sie hörte Mansfield fragen: „Jase, was hast du? Du siehst … du siehst sie an, als würdest du sie kennen.“
Carrie blieb wie vom Donner gerührt stehen und wartete angespannt auf Jases Antwort. Doch auf Mansfields Frage folgte nichts als lastendes Schweigen.
Dann sagte Jase: „Ich habe sie nicht gekannt. Aber ich habe mit ihr gesprochen. Gestern Abend in McGill’s Bar. Sie heißt Kelly.“
11. KAPITEL
Ein paar Stunden später suchten Carrie und Jase Kelly Sorensons Wohnung auf. Carrie saß rechts neben Jase auf dem Sofa und beobachtete ihn genau. Seine Miene verriet nichts. Nicht das geringste Anzeichen von innerem Aufruhr, den er womöglich verspürte. Trotzdem plagten ihn sicher vielerlei Gefühle, und ihr gefiel die finstere Leere nicht, die auf sein Gesicht getreten war, seit er in der grotesk enthaupteten Frauenleiche die Frau erkannt hatte, die am Abend zuvor in McGill’s Bar mit ihm und DeMarco geflirtet hatte.
Susan Ingram, die junge Frau, die ihnen gegenübersaß, schluchzte und lenkte Carrie von Jase ab. Sie war praktisch eine Person von Interesse im Mordfall Kelly Sorenson, aber nur, weil sie Kellys Mitbewohnerin war, nicht etwa, weil Anlass zur Verdächtigung bestanden hätte. Trotzdem war sie, obwohl sie ein hieb- undstichfestes Alibi vorweisen konnte – zur der Zeit, als Jase in McGill’s Bar mit Kelly geplaudert hatte, steckte Susan mit einigen anderen Studenten in einer nächtlichen Arbeitsgruppe –, noch nicht zwangsläufig vom Haken. Zwar war Kelly ein paar Jahre älter und hatte ihren Abschluss bereits in der Tasche, doch sie hatte das gleiche College besucht wie Susan jetzt – das gleiche College, an dem Cheryl Anderson, das dritte Opfer des Embalmers, Englisch gelehrt hatte. Wenn Susan selbst Sorenson oder Anderson nicht getötet hatte, blieb doch die Möglichkeit, dass sie jemanden dafür angeheuert hatte. Das war zumindest eine der Theorien, denen sie nachgehen mussten, auch wenn sie auf Carries Liste von Möglichkeiten ganz unten stand.
Die meisten Mordopfer wurden von jemandem, den sie kannten, getötet, doch Carries Instinkt sagte ihr, dass Susan nichts mit den Morden zu tun hatte. Die Frau schien nicht nur aufrichtig zu trauern, hinzu kam auch noch die Tatsache, dass Kellys Mörder, genauso wie der Embalmer, diese merkwürdige Faszination für das Abtrennen der Augenlider zeigte. Ausgeschlossen, dass das ein Zufall war. Außerdem sah das alles nicht nach der distanzierten Arbeit eines gedungenen Mörders aus. Es war persönlich. Brutal symbolisch. Angesichts dieser Tatsachen war es wenig wahrscheinlich, dass Susan eine Mörderin war. Wahrscheinlich suchte der Embalmer sich seine Opfer auf dem Campus aus, und mit seiner etwas anderen Vorgehensweise wollte er die Polizei verwirren, oder er machte es einfach nur zum Spaß. Höchstwahrscheinlich war Kelly schlicht und einfach ein Pilz , eine Bezeichnung aus dem Polizeialltag für eine Person, die rein zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort auftauchte und die Aufmerksamkeit eines Mörders auf sich zog.
„Wir haben noch ein paar Fragen an Sie. Fühlen Sie sich in der Lage fortzufahren?“, fragte Jase sanft.
Susan sah aus rot geränderten Augen zu ihm auf. Sie holte tief und schaudernd Luft und nickte. „Ja. Was immer notwendig ist, um den Scheißkerl zu finden, der Kelly umgebracht hat.“
„Danke. Sie haben Kelly nicht als vermisst gemeldet, obwohl sie gestern Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Warum nicht?“
„Ich wusste ja, dass sie gearbeitet hat, und es war
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