Ewiglich die Sehnsucht - Ashton, B: Ewiglich die Sehnsucht
letztmöglichen Anlegestelle, wegsteuerten.
»Äh, Jungs, ich finde, wir sollten …« Ich deutete auf das sich entfernende Ufer und hatte eine plötzliche Panikattacke. »Wenn wir alle rückwärts paddeln –«
»Trau dich was«, sagte Maxwell, der hinten im Boot fürs Steuern zuständig war.
»Da kommen gleich gefährliche Stromschnellen.« Ich zeigte in Richtung der Flussbiegung, der wir uns näherten. »Und die Canyonwände sind so steil, da kann man nirgends anlegen.«
»Es gibt kein Zurück«, sagte Gavin, der Drummer, der vorn im Boot saß. »Könnte ein Songtitel sein.«
Cole saß hinter mir, und ich packte seinen Arm. »Cole, bitte. Das ist keine gute Idee.« Aber was sollte er schon tun? Wir konnten tatsächlich nicht mehr zurück.
»Hab keine Angst.« Ich konnte den Ausdruck in seinem Gesicht nicht deuten. Als würde meine Furcht ihn beflügeln. Er blickte weg, ein schwaches Lächeln auf den Lippen.
»Hey, Nik!« Maxwell deutete mit dem Kinn nach vorn. »Hast du das da gemeint?«
Ich sah wieder nach vorn. Der »Schlauch«. Den Namen hatte die Strecke mit Level-fünf-Stromschnellen bekommen, weil die glatten Felswände auf beiden Seiten des Flusses ein Anhalten unmöglich machten. Ich war die Stromschnellen einmal gefahren. In einem trockenen Sommer. In der Mitte lag ein riesiger, scharfkantiger Felsbrocken, dem mein Onkel gekonnt ausgewichen war.
Heute war das Wasser so hoch, dass ich den Felsen nicht sehen konnte.
»Haltet euch seitlich!«, schrie ich. »In der Mitte ist irgendwo ein Felsbrocken!«
Aber zwei Strudel links und rechts im Fluss zwangen unser Boot immer weiter in die Mitte.
»Wird schon gut gehen«, sagte Maxwell.
»Nein, bestimmt nicht!« Ich suchte die Stromschnellen nach auffälligen Wirbeln im Wasser ab, hoffte, die Spitze des Felsens zu entdecken, der irgendwo sein musste.
Schließlich sah ich etwas Schwarzes, das ein winziges Stück aus den dahinjagenden Wellen ragte. Entsetzt wurde mir klar, dass es zu spät war.
»Da ist er!« Ich zeigte auf die Felsspitze.
Wir paddelten mit aller Kraft rückwärts, aber es nutzte nichts. Wir wurden nicht mal langsamer. Boote kommen einem nie besonders schnell vor, bis man versucht, sie zu stoppen. Ein Ausweichen war unmöglich. Ich presste die Augen zu.
Das Boot verfing sich, und wir wurden nach vorn geschleudert. Und dann war ich in der Luft.
Sekunden schienen zu vergehen, als die Berge auf beiden Seiten des Canyons in mein Blickfeld wirbelten und der schmale Streifen blauer Himmel hin und her schwang.
Dann brach das Wasser über mich herein.
Kapitel Fünfzehn
JETZT
Zu Hause, nach dem Minimarkt. Keine drei Monate mehr.
Als ich an dem Abend nach Hause kam, nahm ich Coles Haar aus der Tasche und legte es in die Schublade meines Nachttischchens. Vielleicht hätte ich ja eines Tages die Kraft, es zu benutzen.
Bevor ich richtig darüber nachdenken konnte, was ich im Minimarkt gesehen hatte, hörte ich ein leises Klopfen an der Haustür. Als ich aufmachte, stand Jules vor mir. Sie zwirbelte mit der rechten Hand Haarsträhnen zusammen und sah müde aus. Oder gestresst. Die Luft um sie herum schmeckte bitter und bleiern.
»Hi, Becks.« Sie zögerte. »Kann ich … kurz mit dir reden?«
»Klar. Komm rein.« Sie wirkte nervös, was mich nervös machte.
Jules folgte mir über den Flur in mein Zimmer und setzte sich dann auf die Ecke meines Bettes. Ich drehte den Schreibtischstuhl so, dass ich ihr gegenübersaß.
»Früher haben wir ständig hier zusammengehockt«, sagte sie. »Ich hab praktisch bei dir gewohnt.«
Ich lächelte. »Stimmt.«
Sie sah an mir vorbei, zu meinem Schreibtisch, wo ein gerahmtes Foto von uns beiden an der Wand lehnte. Unsere Blicke trafen sich, und sie sagte: »Du hast ganz schön abgenommen. Und dabei warst du sowieso schon schmal.«
»Ich weiß.«
Jules verschränkte die Arme. »Hör mal, Becks. Ich hatte mir vorgenommen, dich nicht mit Vorwürfen oder Fragen oder so zu bedrängen, aber nach heute … Ich weiß nicht. Ich kann einfach nicht länger den Mund halten. Was ist los mit dir?«
Ich nahm einen Stift vom Schreibtisch und drehte ihn ein paarmal in der Hand, während ich überlegte, was ich antworten könnte. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Jules. Ich war eine Weile weg, doch jetzt bin ich wieder da, und ich will niemandem wehtun …«
»Aber was willst du?«
»Ich will mein Leben wiederhaben«, platzte ich, ohne nachzudenken, heraus. Es war die Wahrheit, auch wenn ich es mir vorher
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