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Ex

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Titel: Ex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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herrschte, zum Ausbruch bringen würde, am wenigsten die liberale, aufgeklärte Minderheit, zu der Lafayette und nun auch Adam Wyatt sich zählten. Doch nach einem arktischen Winter mit vielen Hungerrevolten war der tiefe Groll der überwiegend armen Mehrheit gegenüber den wenigen Privilegierten nicht mehr zu besänftigen. Als diese in den Reihen des Klerus und des Adels dann auch noch versuchten, den frisch gewählten Volksvertretern in der Generalversammlung ihren Willen aufzuzwingen, gab es kein Halten mehr.
    Doch am Hof amüsierte man sich wie eh und je, keiner bemerkte, daß etwas Beunruhigendes vor sich ging, auch nicht Angelique. Aufgeklärte Adlige wie Lafayette begrüßten den Wandel, den sie vorangetrieben hatten und der jetzt unaufhaltsam geworden war. Niemand konnte sich auch nur vorstellen, daß es zu etwas anderem kommen würde als zu einer kontrollierten Umverteilung der Macht: Man befürwortete eine konstitutionelle anstatt einer absoluten Monarchie, eine gerechtere Verteilung des Reichtums und die Bekämpfung der bitteren Armut, unter der neunzig Prozent der Bevölkerung – Arbeiter und Bauern – schon viel zu lange leiden mußten. Keiner rechnete mit einer blutigen Revolution.
     
    Vielleicht lag es daran, daß er Ausländer und trotz seines neuerworbenen Reichtums und seiner Privilegien noch immer ein Außenseiter war – Adam jedenfalls spürte, daß sich die Vorgänge hier grundlegend von der sogenannten Revolution in Amerika unterschieden. Dort war der Feind die alte Kolonialmacht in Europa gewesen, aber hier in Frankreich hatte man ihn direkt vor Augen: hinter den Fenstern der königlichen Paläste und vornehmen Häuser wie dem von Adam. Und so ließ sich Adam, wenn er durch die von Menschenmassen überfüllten Straßen ging, manchmal von zwei bewaffneten Dienern begleiten. Wenn er dagegen allein ausging, kleidete er sich in Lumpen, um nicht angegriffen oder ausgeraubt zu werden. Dann sah er, wie man Puppen verbrannte, die den König, die Königin und die Minister der Regierung darstellten, er sah, wie Läden und Lagerhäuser von den hungernden Massen geplündert wurden, nachdem man die Besitzer mißhandelt und umgebracht hatte, weil sie verteidigen wollten, was sie als ihr Eigentum betrachteten. Er beobachtete, wie der Mob die verhaßten Zollschranken rings um die Stadt niederriß und die erschreckten Soldaten in die Flucht schlug, die den Aufruhr hätten ersticken sollen. Auch als die Bastille, das verhaßte Symbol der feudalistischen Unterdrückung, gestürmt wurde, als man die Köpfe der Wachen und des Gefängnisdirektors aufspießte und unter dem Gejohle der Menge mit ihnen durch die Straßen paradierte, war Adam unter den Zuschauern. Da spürte er, daß sich noch viel Schrecklicheres ereignen würde, und ihn ergriff eine ihm bis dahin unbekannte Furcht.
    Nach dem Fall der Bastille wurde Lafayette unter Zustimmung des Volkes zum Kommandanten der Nationalgarde ernannt. Diese neue Freiwilligenarmee war künftig die führende Kraft beim Voranschreiten der Revolution  – jetzt hegte niemand mehr Zweifel, daß eine solche im Gange war. Doch noch immer forderte keiner der Männer, die sich als Führer der Revolution hervortaten – Robespierre, Danton, Mirabeau, Desmoulins –, die Abschaffung der Monarchie. Im Gegenteil, auch wenn sie beim Volk verhaßt war, hielten die Denker und die Reformer sie doch für einen wesentlichen Garanten der gesellschaftlichen Stabilität, und man glaubte ihre Sicherheit gewährleistet – durch Lafayette und die Nationalgarde, die doch ein Kind der Revolution war.
    Am 5. Oktober 1789 weilte Adam mit Angelique am Hof von Versailles, wo die Ankunft des flandrischen Regiments anläßlich eines routinemäßigen Garnisonswechsels mit einem großen Bankett gefeiert wurde. Der Genuß erlesener Speisen und Weine führte zu gefühlsseligen Treuebekundungen gegenüber König und Königin, die sich der immer härteren Kritik der revolutionären Nationalversammlung ausgesetzt sahen. Als Adam beobachtete, wie die rotblauen Revolutionskokarden, die die Soldaten auf Anweisung trugen, von den Rockaufschlägen gerissen und zertrampelt wurden, ahnte er Böses. Er wußte nur zu gut, daß sich derartige Ausfälle herumsprechen würden und die Situation nur verschärfen konnten. Und er behielt recht. Schon bald drang der wütende Mob in den Palast ein, metzelte die Wachen nieder und stürmte die königlichen Gemächer. König, Königin und der ganze Hofstaat mußten um ihr Leben

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