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Ex

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Titel: Ex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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puritanischen Einfachheit nur ein Traum gewesen, aus dem er jetzt erwacht war. Dann wieder fürchtete er, sein neues Leben sei nur geträumt, und gleich würde seine Mutter ihn aufwecken, ihn wegen irgendeiner kleinen Nachlässigkeit schelten und zum Kühemelken in die kalte Morgenluft hinausschicken.
    Aber er wachte nicht auf. Und nach ein paar Jahren dieses Lebens schwanden auch seine Befürchtungen, daß der Traum ein plötzliches Ende nehmen könnte. Pflichtbewußt, wenn auch unregelmäßig, schrieb er nach Hause; und er erhielt kurze, unbeholfene Briefe von seiner Mutter, denen normalerweise ein kurzes Postskriptum seines Vaters angefügt war. Die Neuigkeiten darin erschienen ihm zunehmend banal und uninteressant, sie riefen ihm eine Welt vor Augen, die nicht nur fern, sondern auch reizlos war, nicht im mindesten zu vergleichen mit dem Leben eines Privatsekretärs des Marquis de Lafayette – in diesen hohen Rang war der junge Adam Wyatt inzwischen erhoben worden. Und obwohl sein Mäzen im Jahr 1784 Amerika einen neuerlichen Besuch abstattete, begleitete Adam ihn diesmal nicht. Er sei, so schrieb er den Eltern, zu beschäftigt mit dringenden Angelegenheiten des Marquis, um auch nur daran denken zu können, Frankreich den Rücken zu kehren. Später wäre dies selbstverständlich einmal möglich, allerdings wisse er nicht mit Bestimmtheit, wann.
    Daß er sich nicht nur in Paris, sondern auch in Angelique verliebt hatte, verschwieg er. Sie war die Tochter einer adligen Familie, mit der der Marquis befreundet war. Angeliques Eltern teilten seinen Reformeifer, auch sie waren davon überzeugt, daß die Zukunft allen Menschen und nicht nur einigen wenigen Privilegierten gehörte. Aber ebensowenig wie dem Marquis kam es ihnen in den Sinn, daß die Monarchie einer solchen Reform im Wege stehen könnte. Der König war doch König all seiner Untertanen, ein Symbol für die Einheit des Landes. Daß diese Einheit in ausreichendem Maße vorhanden war, um die notwendigen demokratischen Reformen zu verwirklichen, wurde in den erlauchten Kreisen, in denen Adam verkehrte, allgemein als gegeben angenommen. Man mochte vielleicht die junge Königin Marie-Antoinette für ihre Extravaganzen und gelegentlichen Narrheiten tadeln, aber das waren nur unbedeutende Nebensächlichkeiten. Dem König jedoch wurde der ihm zustehende Respekt gezollt, ihm galt die loyale Unterstützung selbst der liberalsten Adelskreise und der großen Mehrheit seines Volkes, auch wenn er ein schwacher Herrscher war und es ihm an Entschlußkraft mangelte.
    Inzwischen war Angelique zu einer der beliebtesten Damen bei Hofe avanciert und zählte nun zu den regelmäßigen Gesellschafterinnen der Königin. Auch Adam wurde immer häufiger bei Hofe empfangen. Die Tatsache, daß er ein amerikanischer Held mit einem hellen Kopf und inzwischen nahezu perfekten französischen Sprachkenntnissen war, machte ihn beliebt und begehrt. Als er und Angelique im Sommer 1787 heirateten, zählte ihre Hochzeit zu den glanzvollsten Ereignissen der Saison. Die Mitgift seiner Frau erlaubte ihnen den Kauf eines eleganten Hauses in der Rue du Faubourg Saint-Honoré in Paris sowie eines Landsitzes an der Loire. Jetzt war Adam Wyatt ein vermögender Mann und einer von jenen, denen er einstmals gedient hatte. Amerika, dachte Adam, hatte den Weg in die Zukunft gewiesen, doch Europa und insbesondere Frankreich würden ihn am schnellsten und erfolgreichsten beschreiten.
    Diesem Glauben hing er auch noch im Sommer 1788 an, obwohl sich die Anzeichen mehrten, daß das Land vor dem finanziellen Ruin stand. Der größte Posten der Schulden waren die Ausgaben für Frankreichs Beteiligung am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Adam nahm mit Interesse zur Kenntnis, daß dennoch niemand anklagend mit dem Finger auf ihn zeigte oder seine Heimat verunglimpfte. Man debattierte lediglich darüber, wie man das Defizit beheben könne. Im Herbst kam man überein, im darauffolgenden Frühjahr die Generalstände einzuberufen. Diese waren eine Art nationales Parlament, das sich aus Angehörigen des Klerus, des Adels und gewählten Repräsentanten des Volkes zusammensetzte. Sie waren seit 1614 nicht mehr zusammengetreten, waren jedoch der Verfassung gemäß die einzige Versammlung, die beschließen konnte, welche neuen Steuern erhoben werden durften, um eine solche Krise zu meistern.
    Niemand hatte vorausgesehen, daß dieses Ereignis die brodelnde Unzufriedenheit, die seit geraumer Zeit überall im Lande

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