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Gesichtern lag ein erhabenes Strahlen. Andere hingegen wirkten derb und grotesk – der überschwenglich feiernde Pöbel.
Da verschlug ihr ein gewaltiger Schreck den Atem. Sie sah plötzlich eine Gestalt, die sie bisher wohl nur unterbewußt wahrgenommen hatte, die jetzt aber ihren Blick magnetisch anzog.
Am Rand des Bildes stand ein Mann in einer beinahe ebenso prächtigen Uniform wie Lafayette und schwenkte auf der Spitze seines Säbels seinen Hut: Es war Adam Wyatt.
KAPITEL 21 Sie ging in die Küche, brachte Wasser zum Kochen und goß es dann über einen Teebeutel mit Eisenkraut. Während sie die Tasse umklammerte, starrte sie auf die Ansichtskarte und überlegte, ob sie Sam anrufen und ihm davon erzählen sollte. Schließlich entschied sie sich dagegen, es brachte nichts, wenn er das Bild nicht mit eigenen Augen sah. Sie würde bis morgen warten.
Obwohl sie angenehm müde gewesen war, als sie die Wohnung betreten hatte, schwirrte ihr nun der Kopf. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Und so stöberte sie in ihrem Schreibtisch nach der Lupe, die in irgendeiner Schublade liegen mußte.
Unter der Lupe war noch deutlicher zu erkennen, daß das Gesicht unbestreitbar dasselbe war wie das auf der Zeichnung, die Drew Hearst gemacht hatte und die jetzt in Sams Labor hing, in jenem Kellerraum, den sie inzwischen ›Adams Zimmer‹ nannten. Allerdings war der Gesichtsausdruck ein anderer. Hier auf dem Gemälde war er begeistert und jubelte, ergriffen von dem historischen Augenblick, seinem Helden zu. Doch es war zweifellos derselbe Mann.
Die wahrscheinlichste Erklärung war, daß Drew dieses Bild irgendwo gesehen und unbewußt gespeichert hatte, wollte Joanna sich einreden. Aber das konnte nicht sein, die Zeichnung war ein Gemeinschaftsprojekt gewesen. Jeder hatte Vorschläge beigesteuert, wie Adam aussehen sollte, sie hatten gemeinsam seine Haarlänge, seine Augenfarbe und alles andere festgelegt. Wie bei einem polizeilichen Fahndungsbild hatte Drew Detail für Detail den Mann porträtiert, den die Gruppe im Geiste vor sich gesehen hatte. Und daß sie alle dieses Gemälde oder eine Kopie davon gesehen und sich daran erinnert haben sollten, war doch wohl mehr als unwahrscheinlich. Joanna zumindest war sich sicher, daß sie es heute zum ersten Mal sah. Doch auch die Erklärung, daß sie rein zufällig ein Gesicht erfunden hatten, das bereits in einem ihnen allen unbekannten Bild verewigt war, erschien allzu abwegig.
Morgen, versprach sie sich, würde sie nach Antworten suchen. Denn solange dieses Rätsel nicht gelöst war, konnte sie mit dieser Geschichte nicht weitermachen. Noch einmal drehte sie die Karte um und suchte nach dem Namen des Museums oder der Sammlung. Sie würde Nachforschungen anstellen und alles herausfinden, was über dieses Bild bekannt war, auch die Namen der dargestellten Personen, falls sie irgendwo festgehalten waren.
Nachdem sie sich mit dem Gedanken getröstet hatte, daß sie als Journalistin schließlich darin geübt war, Antworten zu finden, fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
Es gab immer Antworten, wenn man lange genug danach suchte.
Immer.
Als Joanna um vier Uhr morgens schwitzend und mit Schüttelfrost und hämmernden Kopfschmerzen aufwachte, wußte sie sofort, was los war. Sie mußte sich die Grippe eingefangen haben, die in ihrem Büro seit zwei Wochen umging. Auf wackligen Beinen schlich sie ins Bad und nahm zwei Aspirin, dann dämmerte sie unruhig dahin, bis sie endlich in einen tiefen Schlummer versank und erst um neun Uhr wieder aufwachte.
Ihr war klar, daß sie mindestens achtundvierzig Stunden lang außer Gefecht gesetzt war, egal, welche Medikamente sie auch nehmen würde. Das einzige, was sie tun konnte, war, im Bett liegenzubleiben und Unmengen von Kräutertee zu trinken. Glücklicherweise hatte sie davon einen großen Vorrat in der Wohnung. Also rief sie im Büro an und teilte mit, daß man die nächsten zwei Tage nicht mit ihr rechnen konnte. Danach telefonierte sie mit Sam und meldete sich für das abendliche Treffen der Gruppe ab.
Wenn sonst jemand eine Sitzung verpaßte, was sich von Zeit zu Zeit nicht vermeiden ließ, machten die anderen normalerweise alleine weiter. Doch weil das Projekt ursprünglich ins Leben gerufen worden war, damit Joanna darüber schreiben konnte, schlug Sam vor, die Sitzung ausfallen zu lassen und abzuwarten, bis sie sich wieder besser fühlte. Joanna zögerte. Sie hätte ihm gern von der Ansichtskarte erzählt, wollte sie ihm aber
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