Ex
plötzliche Dunkelheit in dem geschlossenen Kellerraum war undurchdringlich, und die Schreie der Gruppe wurden von einem heulenden Wind übertönt, der aus dem Nichts zu kommen schien, als wären die Wände niedergefallen und sie wären auf einem eisigen Berggipfel den Naturgewalten ausgeliefert. Das Heulen wurde zu einem Brüllen, das keine natürliche Ursache mehr hatte. Ob es von einem Menschen, einem Tier oder etwas dazwischen stammte, war schwer zu sagen. Aber es ließ Joanna um etwas fürchten, was ihr bislang eher gleichgültig gewesen war: Sie bangte um ihre unsterbliche Seele.
In diesem Augenblick wußte sie mit absoluter Sicherheit, daß sich etwas Fremdes und Gefährliches in diesem Zimmer befand. Zwischen den Menschen, die verschreckt und verwirrt aneinander vorbeirannten und mit ihr zusammenprallten, war etwas gegenwärtig, für das sie einen Instinkt zu besitzen schien, den sie bisher weder gekannt hatte noch hätte beschreiben können. Sie wußte nur, daß da etwas war, etwas Schrecklicheres sogar als der Tod.
Abrupt, wie das ganze Getöse angefangen hatte, hörte es auch wieder auf. Nun herrschte Totenstille, nur vom Wimmern und Stöhnen der entsetzten Gruppenmitglieder unterbrochen, die vielleicht verletzt oder verstümmelt waren. Joanna selbst schien nichts zu fehlen, auch wenn sie auf Händen und Knien im Dunkeln herumrutschte und sich nicht erinnern konnte, wie sie in diese Lage gekommen war.
»Joanna…? Wo bist du?« Sams Stimme war ganz nah.
»Hier.« Sie streckte den Arm aus und berührte jemanden. Mit einem erschrockenen Aufschrei zog sich der- oder diejenige zurück.
»Sam, wo steckst du?«
»Ich versuche die Tür zu finden…«
Auf ein kratzendes Geräusch folgte ein Krachen, als ob etwas umgefallen wäre, dann ein Rütteln an der Türklinke. Aber die Tür schien verschlossen zu sein.
Plötzlich schwang sie auf, und fahles Licht drang von der Treppe her ein, nur ein schwacher Lichtschein, der vom Campus durch ein hochgelegenes Fenster ins Treppenhaus fiel, aber hell genug, um Sam nach dem Lichtschalter tasten zu sehen. Die Glühbirne draußen über der Treppe beleuchtete eine Szene der Verwüstung, die ihnen den Atem stocken ließ.
Der Tisch, um den sie gesessen hatten, war gegen eine Wand geprallt und lag nun mit abgebrochenem Bein quer auf dem Boden. Alle Stühle lagen verstreut im Raum, die Hälfte davon war zertrümmert. Roger Fullerton kauerte schwer atmend und mit schreckgeweiteten Augen in einer Ecke. Drew hatte sich zusammengerollt wie ein Embryo, und Barry hatte sich schützend über sie geworfen. Mit ausgestreckten Armen, als hätte ihn ein überlegener Gegner niedergerungen, lag Ward Riley am Boden, wohingegen sich Pete gerade aufrappelte und sich von den Überresten der Aufzeichnungsgeräte befreite, die irreparabel zerstört waren.
Als Sam wieder hereinkam, faßte er Joanna am Arm und half ihr hoch. »Bist du in Ordnung?«
Joanna versuchte zu sprechen, doch ihr Mund und ihre Kehle waren zu trocken. Also nickte sie bloß. Erst in Sams Armen merkte sie, wie heftig sie zitterte.
»Es ist jetzt vorbei«, flüsterte er. »Komm, hilf mir mit den anderen.«
Während Sam Roger auf die Füße half, ging Joanna zu Barry und Drew hinüber. Aus den Augenwinkeln sah sie, daß Sam und Roger gemeinsam dabei waren, Ward aufzuhelfen. Zwar standen sie alle unter Schock, aber keiner schien ernsthaft verletzt zu sein.
Als Pete aufstand, gab es noch mal einen Knall. Er war über die verbogenen Reste eines zusammengebrochenen Kamerastativs gestolpert. Pete faßte sich an die Wange, und Joanna schrie auf vor Entsetzen, als er sich ein Stück Haut abzuziehen schien.
Er hörte sie und drehte sich um. »Nur Wachs«, beruhigte er sie. »Ich habe das Paraffinwachs abgekriegt. Aber es tut gar nicht weh, es ist kaum noch warm.«
Joanna sah jetzt, daß die Wanne mit dem Paraffin umgekippt und verbeult war. Und sie sah, daß etwas daneben lag.
»Was ist das?« fragte sie.
Sam ging hin und hob es auf. Der Gegenstand war etwas mehr als einen halben Meter lang, dick und gerundet. Er brachte ihn zu den anderen, und sie drehten und wendeten ihn, um ihn von allen Seiten zu untersuchen. Irgendwie erinnerte das Ding an eine Skulptur.
»Großer Gott!« stieß Sam plötzlich leise aus, und es klang nicht nur erschrocken, sondern beinahe ehrfürchtig. »Wißt ihr, was das ist?«
Es handelte sich um den Wachsabdruck eines nackten Männerarms, die Hand war zu einer lockeren Faust geballt. Wer oder was
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