Ex
lassen und ihr früheres Leben wieder aufzunehmen. War es wirklich so einfach? Eine Luftveränderung und Mutters Küche? War das alles, was sie gebraucht hatte? Es fiel ihr schwer, das zu glauben, aber wenn sie es ganz fest versuchte…
»Wir könnten uns Zeit sparen«, unterbrach ihre Mutter Joannas Gedankengänge, »wenn ich das hier allein erledige und du inzwischen bei ›Clare Sexton’s‹ ein paar Kissen abholst, die ich habe neu beziehen lassen. Sie sind schon bezahlt, du mußt nur danach fragen.«
Joanna überließ den Einkaufswagen ihrer Mutter und vereinbarte mit ihr, sich in zwanzig Minuten mit ihr am Parkplatz zu treffen. ›Clare Sexton’s‹ war ein Stoffgeschäft, das schon existierte, seit Joanna denken konnte. Sie ging die drei Häuserblocks zu dem Laden und grüßte unterwegs ein paar Leute, die sie vom Sehen her kannte, manchmal winkte sie auch durch eine Schaufensterscheibe. Das hier war mehr ein Dorf als eine Kleinstadt, ein gemütlicher, netter Ort, wenn auch keine Prominenz hier wohnte. Zwar hätte Joanna heute nicht mehr hier leben wollen, aber sie war froh, hier groß geworden zu sein. Hier lebten anständige Menschen, die niemandem Böses wollten – im Gegenteil: Sie würden einem helfen, wo sie nur konnten.
›Clare Sexton’s‹ teilte sich die Nachbarschaft mit ein paar Kunsthandwerksläden, einem Buchladen und einem neuen Geschäft, das im viktorianischen Stil eingerichtet war und importierte Seifen, parfümierte Kerzen und duftende Gewürzsträuße verkaufte. Hinter den auf alt getrimmten Scheiben von ›Clare Sexton’s‹ waren bunt leuchtende Stoffe aller Farben und Sorten aufwendig drapiert.
Im Laden ging es so geschäftig zu wie scheinbar überall an diesem Vormittag. Das Mädchen an der Ladentheke wickelte mehrere Stoffbahnen für ein Paar ein, das über die Neuerwerbung ganz begeistert war. Die Geschäftsinhaberin Clare Sexton, eine schlanke, kompetent wirkende Frau mit kurzem blondem Haar, winkte Joanna aus einer Ecke zu, wo sie mit einer anderen Kundin beschäftigt war. Kein Grund zur Eile, gab Joanna ihr zu verstehen und wollte sich einstweilig ein wenig im Laden umschauen.
»Was meinen Sie?« fragte sie da plötzlich eine Männerstimme so dicht hinter ihr, daß sie erschreckt zusammenzuckte. Als sie sich umdrehte, sah sie sich einem dunkelhaarigen Mann von etwa Mitte Dreißig in grünen Cordhosen und einem geschmackvollen Wolljackett gegenüber. Er hielt einen farbigen Karton in der einen und eine Stoffbahn in der anderen Hand. »Paßt das, oder bin ich farbenblind?«
»Hm«, meinte sie und trat einen Schritt zurück, um die Farben in besserem Licht zu begutachten. »Das paßt ausgezeichnet, finde ich… wenn das die Wandfarbe ist und Sie Vorhänge dazu suchen.«
»Auf Anhieb richtig geraten«, grinste er sie ein bißchen entschuldigend an. Er hatte ein nettes Lächeln und auch ein sympathisches Gesicht, fand sie. Und er wirkte intelligent – wie jemand, mit dem man gut reden konnte.
»Da wir gerade beim Thema sind, würden Sie das als Gelb oder als Ocker bezeichnen?« Er deutete auf einen Streifen im Stoff. »Blöd, nicht wahr? Ich weiß, daß es zwei verschiedene Farben sind, aber ich kann mich nie entscheiden, wo das eine aufhört und das andere anfängt. Wohl eine Art Sehschwäche.«
»Definitiv Ocker«, stellte sie fest. »Viel zu gedämpft für Gelb.«
»Okay«, nickte er. »Wenn Sie so einen Stoff einfarbig da haben, brauche ich mehrere Meter davon. Ich weiß nicht genau wieviel, aber vielleicht können Sie es ausrechnen, wenn ich Ihnen erkläre…«
Er redete nicht weiter, weil er sah, daß sie ihn mit einem amüsierten Lächeln zu unterbrechen suchte.
»Tut mir leid, aber ich arbeite nicht hier«, sagte sie. »Obwohl ich Ihnen gern helfen würde, denn Clare ist eine Freundin von mir. Aber ich weiß nicht, was sie vorrätig hat.«
Vor Verlegenheit wurde er rot. was Joanna überraschend liebenswert fand, und stotterte eine Entschuldigung. »Wie dumm von mir… tut mir leid… ich weiß gar nicht, wie ich darauf gekommen bin…«
»Schon gut. Schade, daß ich Ihnen nicht helfen konnte.«
»Aber das haben Sie schon getan. Zumindest weiß ich jetzt, nach was für einer Farbe ich suchen muß.«
»Wo ist denn das Haus, das Sie renovieren? Hier in der Gegend?«
»Nein, hier draußen habe ich nur ein kleines Häuschen gemietet, mehr eine Hütte. Aber ich habe gerade in Manhattan ein Haus gekauft. Viel zu groß für mich, ehrlich gesagt, aber es ist das
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