Exil im Kosmos: Roman (German Edition)
gehen konnte. Ein paar Dinge, die ihm wichtig waren, hatte er von der Erde mitgebracht. Er hatte drei Schachteln mit Büchern, alle auf Mikrostreifen, dazu ein Lesegerät mit starker Lupe; er hatte Musikaufnahmen und ein mechanisches Abspielgerät mit Uhrwerk, das er immer wieder aufziehen konnte. Alles zusammen ergab einen Stapel, der weniger als einen Meter hoch war, aber der Inhalt reichte aus, seinen Geist in all den Jahren, die ihm noch verblieben, zu ernähren. Er hatte Schreibmaterial, seine Gedanken festzuhalten und Federzeichnungen zu machen. Er hatte Waffen und einen Massedetektor. Er hatte einen Diagnostaten und einen Vorrat von Arzneimitteln. Es war genug.
Er aß regelmäßig. Er schlief lange und gut. Er hatte keine Gewissenskonflikte. Er war meistens zufrieden mit seinem Geschick. Bitterkeit kann man nur eine gewisse Zeit nähren, dann bildet die Psyche eine schützende Kapsel um die Stelle, aus der das Gift kommt.
Er machte niemanden für das verantwortlich, was ihm widerfahren war. Sein eigener Ehrgeiz hatte ihn dahin gebracht; er war mit dem sogenannten Erfolg nur noch hochmütiger und ambitiöser geworden; und irgendein unerbittlich lenkendes Schicksal hatte ihn zur rechten Zeit niedergeworfen und ihm gnädig Gelegenheit gegeben, zu dieser toten Welt davonzukriechen, dass er seinen gebrochenen Stolz heile und zu tieferer Erkenntnis gelange.
Die Stationen seiner Reise zu diesem Ort waren ihm wohlbekannt, und er sah keinen Grund, mit selbstgefälliger Befriedigung auf sie zurückzublicken. Mit achtzehn hatte er sich seiner hochfliegenden Pläne gerühmt. Mit fünfundzwanzig waren sie festes Ziel einer ehrgeizigen Karriere geworden. Als Vierzigjähriger hatte er hundert Welten besucht und war berühmt. Eine Dekade später glaubte er sich zum Staatsmann berufen. Und im Alter von einundfünfzig Jahren hatte er sich von Charles Boardman überreden lassen, die Mission nach Beta Hydri IV zu übernehmen.
In jenem Jahr verbrachte er seine Ferien im Tau Ceti-System, ein Dutzend Lichtjahre von der Heimat entfernt. Marduk, der vierte Planet, war ein beliebter Erholungsort für die Bergbauleute, die damit beschäftigt waren, den Nachbarwelten seltene Bodenschätze zu entreißen. Müller hatte keine Freude an der Art und Weise, wie diese Planeten ausgeplündert wurden, doch das hinderte ihn nicht daran, auf Marduk Entspannung zu suchen. Es war eine Welt ohne Jahreszeiten, die sich mit senkrechter Achse durch ihre Umlaufbahn wälzte; vier Kontinente ewigen Frühlings, gebadet von einer ruhigen, seichten See. Die See war grün, die Vegetation des Landes hatte einen bläulichen Schimmer, und die Luft hatte ein wenig vom Prickeln jungen Champagners. Man hatte die Erholungsgebiete zu einem ungefähren Abbild der Erde gemacht – der Erde, wie sie in einer unschuldigen Zeit gewesen war –, lauter Parklandschaften und saftige Wiesen und freundliche Wirtshäuser. Es war eine ruhevolle Welt, deren Herausforderungen man nicht ernst zu nehmen brauchte. Der Riesenfisch in den Meeren war harmlos und ließ mit sich spielen. Die schneebedeckten Berge sahen gefährlich aus, selbst für erfahrene Bergsteiger, aber noch nie war jemand in ihnen zu Tode gekommen. Die Tiere der Wälder waren groß und schnaubten furchterregend, wenn sie angriffen, aber sie waren nicht so wild wie sie aussahen. Müller schätzte solche problemlosen Welten nicht sonderlich, weil ihre Beschaulichkeit seiner vermeintlichen Lebensphilosophie von Aktivität, Leistung und Erfolg keinen Raum bot, aber er hatte sich überarbeitet und war nach Marduk gekommen, um ein paar Wochen falschen Friedens zu haben, begleitet von einem Mädchen, das er im Vorjahr kennengelernt hatte.
Ihr Name war Marta. Sie war hübsch, mit großen dunklen Augen und schimmerndem blauen Haar, das ihre glatten Schultern umspielte. Sie sah wie Zwanzig aus, konnte aber genauso gut siebzig sein und die dritte Verjüngungskur hinter sich haben; das wahre Alter war einer Person nicht leicht anzusehen, und Frauen wussten die Indizien einer chirurgischhormonalen Verjüngungskur sehr geschickt zu verstecken. Aber irgendwie hatte Müller das Gefühl, dass sie wirklich jung war. Es war nicht nur ihre Beweglichkeit und Geschmeidigkeit, die diese Folgerung nahelegte, sondern mehr noch eine Mädchenhaftigkeit, ein naiver Enthusiasmus; Dinge, die keine Frau mit langer Lebenserfahrung aufbringen konnte.
Müller war zu taktvoll, ihre Privatsphäre auszuforschen. Sie stammte von der Erde, hatte
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