Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Erzfeindes triumphierendes Gesicht brachte ihn zum Rasen.
Dazu mußte er in diesen Tagen hören, daß Jacques Tüverlin den ganzen Winter in Paris verbringen werde. Tüverlin hatte sich eine Wohnung genommen und eine Sekretärin, »und«, erzählte man Wiesener, »denken Sie, wen: Ihre weiland Maria Hegner«. Es gelang Wiesener, ein gleichgültiges, ironisches »Sieh mal an« herauszubringen und die Unterhaltung ruhig weiterzuführen.
Doch als er allein war, überkam ihn lähmende Mutlosigkeit. Er stellte sich vor, wie Tüverlin Maria von seiner Begegnung mit ihm erzählte. Er stellte sich vor, wie er, das war beinah unvermeidlich, Tüverlin ein zweites Mal treffen und wie der ihn ein zweites Mal brüskieren werde. Er brachte kaum mehr Wut auf, so durchbohrt war er vom Bewußtsein der eigenen Kleinheit.
Um sich aufzupulvern, quälte er Lotte, die jetzt wieder die Neue geworden war, durch höflich höhnische, unverdiente Anmerkungen, bis sie Tränen in die Augen bekam. Oder er läutete dem Diener Arsène und gab ihm irgendeinen Auftrag; es war ihm darum zu tun, Arsènes Gesicht zu beobachten. Er wußte, Arsène war ehrgeizig, wünschte, man möge Karriere machen, und verfolgte die Geschehnisse mit peinlicher und verständnisvoller Aufmerksamkeit. Doch Arsène blieb der gutgeschulte Diener, seinem Gesicht war nichts abzulesen.
Immer mehr wuchs Wieseners Nervosität. Er stand vor Leas Porträt. Wozu eigentlich quälte er sich selber und ließdieses Bild hängen? Bösartig beschaute er Leas Gesicht. Die Stirn ist glatt wie eine Eierschale und viel zu hoch; es steckt erheblich weniger hinter dieser Stirn, als sie vorgibt. Und Leas Mund? Leas berühmtes Lächeln? Es ist gar nicht so weit her damit. Es ist ein Lächeln, das über eine Leere forttäuschen soll, das berufsmäßige Lächeln einer Dame der Gesellschaft, es ist ein dummes – da er belesen war, ersetzte er schnell das plumpe Wort durch ein gestufteres –, ein äginetisches Lächeln. Er hat in diese Lea viel zuviel hineingesehen: was ihn an ihr reizte, das ist aus ihm gekommen, nicht aus ihr. Er wird das Porträt weghängen. Er will nicht immerzu ein Gesicht vor Augen haben, das ihm nichts mehr sagt. Überhaupt hat er Schwein gehabt, daß man bisher an dem Porträt der Jüdin keinen Anstoß genommen hat.
Dann, als er einmal an dem Haus an der Rue de la Ferme vorbeifuhr, sah er, daß es wieder bewohnt war, und er wußte, jetzt wird sich seine Welt ändern. Immer wurden ihm berufliche Fehlschläge kompensiert durch privates Glück. Um seine Karriere war es seit ewigen Zeiten nicht so schlecht bestellt gewesen wie jetzt: er wird Lea zurückgewinnen.
Alles sprach dafür. Da war der »Beaumarchais«, er war fertig, die ersten Korrekturbogen lagen vor ihm. Wie wäre es, wenn er Lea dieses sein Buch widmete? Er lief dabei nicht einmal viel Risiko. Vor der Partei muß er das Buch sowieso als eine Verhöhnung französischen Wesens hinstellen, leicht in Form, doch ernst im Inhalt; da kann er die Widmung an die Französin glaubhaft als eine ironische Geste erklären.
Wieder stand er vor dem Porträt. Hat er jemals daran gedacht, es weghängen zu lassen? Was für eine klare, gescheite Stirn. Und dieses Lächeln, wie hat es ihn erinnern können an das töricht ausdruckslose Lächeln jener frühen griechischen Bildwerke? Es war ein großartiges Lächeln, ein höchst verlockendes Lächeln.
Aber in gewissen Situationen ist dein Gesicht noch viel verlockender, meine Liebe, und ich werde dafür sorgen, daßdir das Lächeln vergeht. Ich werde die Früchte meiner Taktik ernten, es war eine zähe, kluge Taktik, aber sie hat mich verdammt viel Geduld und Entbehrung gekostet. Ich werde dich zahlen lassen für das, was du mir angetan hast mit deinem langen Schweigen. Du wirst nicht mehr lächeln, meine Liebe.
Der Diener Arsène meldete, Monsieur werde am Telefon gewünscht. Arsènes Gesicht blieb glatt, doch in seinem Innern war er empört, daß er seinen Monsieur le Boche schon wieder, und mit so versunkener Miene, vor dem Bild antraf. Um unsere Karriere stand es nicht gut in der letzten Zeit, da war es ein Trost, daß Monsieur le Boche wenigstens die Jüdin ad acta gelegt zu haben schien. Aber so sind diese Deutschen. Eine Frau braucht nur zu lächeln, dann schmelzen sie. Im Grund sind sie alle sentimental, die Nazi genauso wie die andern, und darum werden sie es auch zu nichts bringen, trotz ihrem Hitler.
Wiesener, kaum hatte er den Herrn am Telefon abgefertigt, rief in
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