Existenz
Wunder erschienen wären. Angefangen bei der Chance, auch weiterhin meinen Beruf auszuüben, während dieser vom Feuer gepeinigte Körper in einem Container mit lebenserhaltendem Gel begraben liegt. Ist es das wert, noch ein bisschen (und vielleicht auch etwas mehr) Agonie ertragen zu müssen? Die Welt als Geist-Journalistin und eReporterin zu bereisen, mit Intellipromis zu reden, Gerüchten nachzugehen und Smartmobs (!) aufzumischen, mich selbst auf Trab zu halten …
Einige von euch haben nach organischer Rekonstruktion gefragt. Hauttransplantate sind noch immer ein Stein des Anstoßes zwischen den Ärzten und mir – sie tun verdammt weh. Aber mit Biojet-Druckern, die von mir selbst stammende Zellen auf mehrfach geschichtete Träger sprühen, ist es möglich, unterschiedliche Gewebefasern heranwachsen zu lassen: Leber, Milz, Lunge und so weiter. Stellt euch in diesem Zusammenhang einen Biofarmer vor, aus dessen Bottichen der aus Pseudofleisch bestehende Burger stammt, den ihr zu Mittag hattet.
Es ist sogar die Rede von Arm- und Beinimplantaten, falls ein Spender mit meinem seltenen Antigen-Typ gefunden werden kann. Aber angesichts der großen Nervenschäden spüre ich Skepsis hinter all den hoffnungsvollen Worten. Eines steht fest: Ich werde nie wieder richtige Augen und Ohren haben. (Es ist ein Wunder, dass der Inhalt meines Schädels einigermaßen unbeschadet davongekommen ist.)
Also wie sieht’s aus? Soll ich wieder mobil werden, indem ich einen robotischen Gehapparat mit den Gedanken steuere? Eins dieser zischenden, klappernden Dinger?
Manche von euch fragen: Was ist mit Upload? Zum Teufel auch, ich existiere bereits größtenteils im Cyberspace. Warum diesen ruinierten Körper nicht aufgeben und den Rest des Weges gehen, das ganze Bewusstsein ins Netz übertragen? Mit den Online-Avataren eins werden! Diese Vorstellung ist immer zu 99 Prozent Science Fiction und zu 1 Prozent Wissenschaft gewesen. Bis Marguerita deSilva und ihre Anhänger zu behaupten begannen, bald seien alle in der Lage, dem Beispiel ihres Haustiers zu folgen, der Gott-Ratte Porfirio, und virtuelle Welten zu durchstreifen, die viel größer sind als unsere »Realität«.
Und jetzt gibt es da die Artefakt-Außerirdischen, die zu beweisen scheinen, dass jene Leute recht haben. Wenn wir entscheiden, Mitglied ihrer interstellaren Föderation zu werden … Zeigen sie uns dann, wie wir uns in ihre Kristallwelten uploaden können, so wie sie es getan haben?
Gibt es eine Möglichkeit festzustellen, ob es die Mühe lohnt?
Natürlich gibt es für jemanden wie mich noch andere Optionen. Einige von euch sagen: »Alle Probleme verschwinden im Lauf der Zeit.« Wäre die Welt in hundert Jahren imstande, mich zu heilen? Meinen Körper vollkommen zu reparieren? Und ist diese Chance eine Reise durch die Zeit wert?
An den meisten Orten ist es verboten, eine lebende Person einzufrieren. Die kryonischen Unternehmen müssen bis zu dem Moment warten, in dem der Arzt den klinischen Tod erklärt. Aber ich habe Angebote von reichen Fans erhalten (nein, ich nenne keine Namen), die bereit sind, mich nach San Sebastian, Pulupau, Friedmania oder Rands Eigentum zu bringen, wo das lokale Recht keine derartigen Hürden aufbaut. Verdammt, ich bin jetzt eine Heldin, jemand von historischer Bedeutung! Hätten die Menschen in irgendeiner wundervollen Zukunft nicht ein Interesse daran, mich wieder aufzutauen?
Hier ist ein Werbespruch, den mir ein wahrer Gläubiger geschickt hat: »Die Kryonik sieht unseren Hirntod nicht als solipsistische Auslöschung unserer Welt, sondern als langen Schlaf, der einer großen Operation vorausgeht.«
Hm, Schlaf. Und träumt man vielleicht während dieses Schlafs? Das könnte ein Haken bei der Sache sein.
Schlimmer noch: Was ist, wenn die religiösen Leute, zum Beispiel meine Eltern, recht haben? Wenn der Tod die Seele freigibt? Wenn er eine Tür ins Jenseits öffnet? Verhindert die kryonische Hibernation, dass die Seele ihren wohlverdienten Lohn bekommt? Ersetzt sie das Paradies vielleicht durch eine eisige, nordische Version der Hölle?
Und wenn ihr jetzt spöttisch lächelt … Wartet ab, bis ihr einmal in meiner Lage seid. Es liegen nicht viele überzeugte Atheisten in Gel-Tanks.
Den Ruf des Schicksals hören 35
Die Leute protestierten gegen etwas, so viel erkannte Mei Ling auch ohne Einblick in den virtuellen Raum. Aber wogegen? Auf der Welt gab es mehr Sorgen und Missstände als Sterne am Himmel; um welche besondere Sache ging
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