Existenz
Helmsicherungen, löste die Siegel – er riss sie praktisch auf –, löste den Helm, der ihm das Überleben ermöglicht hatte, vom Rest des Schutzanzugs und warf ihn wie etwas Ekliges beiseite. Dann die Handschuhe. Für einige Momente genoss er es einfach nur, sein von Bartstoppeln bedecktes Gesicht zu betasten und zu reiben.
Also gut, steh auf. Beweg dich. Finde die Leute, denen dies hier gehört. Hol Hilfe … Und denk daran, freundlich zu sein. Der letzte Teil sollte verhindern, dass die alten, scheußlichen Angewohnheiten wieder nach oben kamen, die Ungeduld eines verzogenen Jungen. Vielleicht war diese neue, reife Perspektive nur eine vorübergehende Sache. Ein Ergebnis seiner Zeit bei den Delfinen. Aber es schien längst überfällig gewesen zu sein. Oder zumindest etwas Neues, das es auszuprobieren galt.
Als er seine ganze Kraft nahm, um aufzustehen – eine große Anstrengung nach der langen schwerelosen Zeit im Wasser –, bemerkte er ein handbemaltes Schild vor dem Becken, so aufgestellt, dass es Neuankömmlinge sofort sahen.
Projekt Uplift beendet!
Gerichtskosten fraßen alles auf.
Diese Anlage wurde urkundlich
unseren Flossen-Freunden übertragen.
Mögen sie uns eines Tages ebenbürtig sein.
In kleineren Buchstaben folgten eine Weltnetz-Zugangsnummer und ein offenbar juristischer Text. Hacker musste sich Salz aus den Augen blinzeln, um einige Zeilen zu lesen. Die Worte schienen den ersten Hinweis zu bestätigen, dass die Delfine tatsächlich Eigentümer dieses Gebäudes waren, das sie nun benutzten, um ihre Netze sowie ein paar Spielzeuge und Werkzeuge zu verstauen.
Hacker verstand jetzt ihr kummervolles Schnattern, als sie hier niemanden angetroffen hatten. Und er verstand auch, warum sie immer wieder hierher kamen. Jedes Mal hofften sie, dass ihre »Hand-Freunde« zurückgekehrt waren.
Projekt Uplift? Hacker dachte darüber nach, während er sich daranmachte, den Schutzanzug auszuziehen. Er zuckte mehrmals zusammen, als das Material über wunde Stellen strich. Der Name klingt vertraut. Ich … habe etwas darüber gehört.
Einer der Delfine – der alte Gelbbauch – kam näher, beäugte Hacker und gab einige pfeifende Geräusche von sich, mit denen er jetzt, da sich sein Kiefer nicht mehr im Wasser befand, kaum etwas anzufangen wusste.
»Ich kehre zurück«, versicherte er dem alten Delfin und versprach es mit erhobener Hand.
Jede Bewegung kostete enorm viel Kraft. Hacker stützte sich am Geländer ab, setzte vorsichtig und schwerfällig einen Fuß vor den anderen. Mangel an Kraft war nicht das eigentliche Problem – schon seit einer ganzen Weile hatte er jede Gelegenheit genutzt, seine Beinmuskeln zu trainieren. Was ihm solche Mühe machte, war der Versuch, das Gleichgewicht zu wahren. Keine andere Spezies auf der Erde erforderte eine so gut ausbalancierte motorische Kontrolle wie der Mensch, um nicht zu schwanken und zu fallen. Es würde eine Weile dauern, sich wieder daran zu gewöhnen.
Auf gummiartigen Beinen wankte Hacker an Wänden und Schränken entlang, ließ das Becken hinter sich zurück, folgte dem Verlauf eines langen Flurs und schaute in jeden Raum, an dem er vorbeikam. Es handelte sich in den meisten Fällen um Laboratorien. Als er ein Waschbecken mit Trinkwasseranschluss fand, drehte er den Hahn ganz auf, hielt erst den Kopf darunter und trank dann, bis er sich aufgebläht fühlte. Es brauchte Willenskraft, um mit dem gierigen Trinken aufzuhören, sich abzuwenden und die Entdeckungstour fortzusetzen.
Im dritten Zimmer fand er einen Apparat für das Spleißen von Genen, hergestellt von einem seiner Unternehmen. Sofort zählte er zwei und zwei zusammen.
Projekt Uplift. O ja, ich erinnere mich.
Vor ein oder zwei Jahren … Die Medien, sowohl von Profis als auch von Amateuren, hatten eine Gruppe aufs Korn genommen, deren geheimes Ziel es gewesen war, mehrere Tierarten genetisch so zu verändern, dass sie schließ lich über eine Intelligenz verfügten, die an die des Menschen heranreichte.
Gegner aller Art hatten das Projekt angegriffen. Kirchen hatten es als ein Sakrileg bezeichnet. Öko-Eiferer hatten Einmischungen in die Weisheit der Natur beklagt. Toleranz-Fetischisten hatten verlangt, die ursprüngliche »Kultur der Delfine« intakt zu lassen, ohne ihnen provinziell-beschränkte menschliche Werte aufzuzwingen. Andere hatten die ganze Sache für gefährlich gehalten und von Mutanten gesprochen, die aus den Laboratorien entkommen und die Menschheit bedrohen
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