Existenz
Bin ebenfalls. Sein kleiner Sauerstofftank enthielt noch für weniger als fünf Minuten hochkomprimierte Luft. Wenn er der Anzeige der kleinen Uhr in den Gläsern seiner Atemmaske glauben konnte.
In der Nähe … ein überschwemmter Schutzraum … wo wir warten können …
Die Soldatin erstarrte plötzlich, und ihre Augen blieben in den Schatten verborgen. Sie gerieten ins matte Licht, als sie sich langsam umdrehte, und plötzlich sah er Furcht in ihnen.
Bin wirbelte so schnell herum, wie es das Wasser zuließ.
Etwas Großes ragte am Fenster auf. Ein schlangenartiges Etwas, breiter als ein Mensch, das sich nach oben wand und dessen Kopf die Öffnung fast ganz ausfüllte. Roboteraugen leuchteten auf, und ihr Licht kroch in alle Winkel der Dachbodenkammer. Offenbar handelte es sich um eine mächtige Kampfmaschine, die Bin und die Frau zu untersuchen schien, nicht nur mit dem Licht, sondern auch mit akustischen Signalen, die ihre Körper wie mit unfreundlichen Fingern aus Tönen abtasteten.
Ein Lichtstrahl richtete sich plötzlich auf die Waffe der Soldatin, die auf einem Stück Holz lag. Von einem Augenblick zum anderen kam ein peitschenartiger Tentakel aus dem Maul des Roboters – die Maschine packte die Waffe und verschlang sie, bevor die beiden Menschen einen Finger rühren konnten. Dann erklang eine laute Stimme und ließ die von Algen bewachsenen Wände erzittern.
»Komm, Peng Xiang Bin!«, befahl der Roboter und öffnete sein Maul noch weiter. »Jetzt. Und nimm das Artefakt mit.«
Bin begriff erschrocken, dass er durch das Maul ins Innere des Schlangen wesens kriechen sollte. Er wich zurück.
Der Roboter spürte vielleicht seine Furcht, denn er fügte hinzu:
»Dies ist sicher. Es abzulehnen, wäre gefährlich.«
Eine Warnung. Damit hatte Bin reichlich Erfahrung. Er war so vertraut damit, dass er sogar ruhiger wurde und über die Situation nachdachte.
Ich sitze in einem überfluteten Dachboden fest, habe nur noch für wenige Minuten Atemluft und bin mit einer großen Kampfmaschine konfrontiert. Bleibt mir eine Wahl?
Dennoch hinderte ihn Angst daran, der Aufforderung des Roboters Folge zu leisten. Deshalb unterstrich die Maschine ihren Standpunkt, indem sie mit dem einen Auge einen dünnen, sehr hellen Lichtstrahl abfeuerte, der entlang seines Weges das Wasser verdampfte und Luftblasen aufsteigen ließ. Dieser Strahl brannte mehrere Zeichen in einen der verfaulenden Dachbalken des Königlichen Palastes von Pulupau.
WÄHLE DAS LEBEN.
Er überlegte angestrengt. Zweifellos konnte ihm die Maschine den Weltstein einfach wegnehmen – sie brauchte nur einen ihrer Peitschententakel danach auszustrecken. Ihr musste also klar sein … oder ihren Herren musste klar sein … dass seine Berührungen nötig waren, um den Weltstein zu aktivieren.
Um diesen Punkt zu betonen, hob Bin den Finger und schrieb auf die linke Hand:
Ich werde gebraucht. Der Stein spricht nur mit mir.
Die Schlangenmaschine hatte keine Mühe, Bins Handschrift zu verstehen. Sie nickte.
»Bestätigung. Kooperation wird belohnt. Aber wir finden einen Weg, wenn ich nur das Artefakt mitnehmen muss.«
Einen Weg. Bin konnte sich gut vorstellen, was damit gemeint war: Der Stein sollte einem neuen »Auserwählten« angeboten werden. So vielen wie nötig. Bis man jemanden fand, auf den der Weltstein reagierte. Bin lebte dann längst nicht mehr.
»Komm jetzt. Die Zeit ist knapp.«
Bin hätte fast auf stur geschaltet. Er hatte Leute und Dinge satt, die solche Worte an ihn richteten. Doch nach einem Moment eigensinniger, trotziger Wut gelang es ihm, Zorn und Furcht zu unterdrücken. Er nahm den schweren Ranzen und trat einen ersten Schritt vor, einen zweiten …
Dann sah er zur chinesischen Soldatin zurück, die noch immer mit weit aufgerissenen Augen starrte. In ihrem Gesicht erkannte er ein stummes Flehen.
Bin blieb vor dem Seeungeheuer stehen, legte den Ranzen in den Schlamm, hob beide Hände und schrieb erneut.
Was ist mit ihr?
Der Roboter überlegte kurz, bevor er antwortete:
»Sie weiß nichts von meiner Mission, meinen Auftraggebern und meinem Ziel. Sie kann leben.«
Wortloser Dank füllte die Augen der Frau, gab Bin neue Kraft und seinen nächsten Schritten eine besondere Festigkeit. Allerdings zitterte er trotzdem, als er den Ranzen mit dem Weltstein hob und ihn ins Maul der Maschine legte. Dann, vom belastenden Gewicht des Steins befreit, drehte er sich, um in den Rachen des Roboters zu kriechen.
Es war die zweitseltsamste Sache,
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